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■ Eine Krone von Veilchen
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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2018-09-21
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Zum Originaltext
Nicki Scorpion & das Schicksal, Vorreiber und die Schläge im Teich „Du fährst, kommst an, fährst wieder, und zum Schluss kommst du dort an, wo die Straßenbahn dich hingebracht hat. Sie weiß nicht, wohin sie dich bringt, nur du weißt, wohin du willst, und das gute Schicksal steht und schaut mit dir zum Fenster hinaus, während der Schlechte auf der Straße steht und dich auslacht, weil du auf dem falschen Weg bist“, erklärte Vater mir die Sache mit dem Schicksal. „Ja, ja, Kind, fährst du, fährt sie auch, sie ist wie ein großes, sehr großes Auge, sie sieht alles. Es, das Auge, steigt mit dir aus. Aber wenn du in der Mitte des Schicksals eine Kurve nehmen willst, musst du schneller aussteigen und an einer unbekannten Haltestelle. Pass gut auf, dass du nicht zwischen den Türen eingeklemmt wirst.“ So auch wir in einer Ferien: Wir waren, von Mutter geschickt, auf dem Weg zum Markt. Die ganze Familie versuchte irgendwie, ihr Schicksal zu ändern, damit sie nicht vielleicht von „dem Bösen“ eingefangen wird, und wir wieder auf der Straße landen wie nach dem Krieg, so wie meine Eltern, als ich nach ihrer Meinung „nur ein Gedanke“ war. Die Mutter schickte uns spontan, eine Melone zu kaufen. Eine milchige Hitze betäubte uns, als würde Großmutter uns an ihre große Brust drücken, die Chaussee schwitzte. In jenen Zeiten schwitzten alle. Die Straßen waren aufgeweicht, es roch nach öligem Teer, man verbrannte sich die Füße durch die Sandalen, die Mücken flogen langsamer, wenn sie an die Scheibe prallten, hinterließen sie eine Blutspur. Heute hinterlassen die Fliegen keine einzige rote Spur. Die Früchte faulten in der Hitze, heute verdorren sie, selten sieht man eine verfaulte Frucht. Die Bauern waren groß und die Bäuerinnen wischten sich über ihre von der Sonne gehärteten Gesichter wie über das Blech, auf dem Mutter die Auberginen mit von den gefärbten Schürzenecken schweren Händen buk. Von der Wärme waren die Gerüche des Marktplatzes ein Gemisch aus Grünzeug, Regen, Hitze und Staub. Gewaschene Früchte erholten sich und ein Salat füllte dir den Mund mit Aromas. Heute sehen die Salate aus wie aus dem Buch, die Aromen, es tut mir leid, kannst du wahrscheinlich tröpfchenweise beigeben, also Bioessenz aus der Apotheke. Der große Rahova-Platz gehörte eigentlich niemand. Am viereckigen Haus gab es eine Stange, an der eine zerzauste Fahne hing – eigentlich hatten alle Gebäude eine Fahne und darüber auf einer großen Tafel in vom Regen verwischten und kaum lesbaren Lettern „Es lebe …“ –, und der Bauer wusste: Er verkauft dort sein Gemüse und seine Früchte, die er mit Mühe anbaute und mit dem Pferdewagen bis an den Stadtrand von Bukarest brachte und dann weiter mit dem Lieferwagen transportierte. Es standen dort von Bauern aus dem ganzen Land Tag und Nacht bewachte Holzbuden. Die Bauern blieben, bis sie alle ihre Säcke verkauft hatten. Sie trugen Hemden aus Leinengarn und Baumwolle, Bundschuhe und dicke Socken. Selten dass einer Schuhe anhatte. Damals hätten sie sich nicht vorgestellt, dass sie in 30 – 40 Jahren eine Art Chef über ihre Buden haben werden, über den Marktplatz – sozusagen wussten die Bauern in meiner Kindheit nicht, was ein „Chef“ ist. Beten beteten sie zum Vorgesetzten der Kollektivwirtschaft und zu Gott, während der „Vader des Volges“ unter dem Glas auf allen Wänden der Kulturheime, Postämter, Kliniken und Schulen vergilbte, ohne dass noch jemand zu ihm oder für ihn betete. Ah, ja, ab und zu schien er abends um acht im Schwarz-Weiß-Fernseher und das schien ein paar Leute nicht besonders zu stören. Der „Erbauer“ erschien mir in einem Antiquariat gleich beim Aufschlagen eines Botanikatlasses. Er hat mich nicht erschreckt, im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, dass es ein Bekannter ist. Wenn du nach drei Jahrzehnten Tag für Tag, nach drei Jahrzehnten von morgens, den ganzen Tag und dann vor dem Schlafengehen nur einen Namen hörst, zuckst du zusammen beim Erklingen dieses Namens, oder wenn du ihn siehst, wie er „mürrisch“ und mit einer „jugendlichen Locke“, die sie ihm bestimmt mit Tusche aufgezeichnet haben, bevor sie ihn millionenfach vervielfacht haben, daherkommt. Im Kindergarten habe ich gelernt, dass er ein Goldmensch war, ein guter Vater, liebend, besser als mein Vater, der selten nach Hause kam und mir ansonsten Ratschläge gab, die ich nicht umsetzen konnte. Aber dieser „Vater für alle“, der uns von allen Wänden des Landes ansah, konnte mich nicht beeindrucken, nachdem ich in die zweite Klasse kam und nicht zu den Ersten gehörte, die Pionierinnen wurden, nur weil ich in der Unterrichtsstunde geschwätzt habe und einen Aufsatz vortrug, den gar nicht ich geschrieben hatte. Genossin D. hat mir traurig mitgeteilt, dass die Strafe „von oben“ kommt. Man weiß, dass nicht ich den Aufsatz geschrieben habe und so werde ich die rote Pionierkrawatte nicht tragen. Diese Schande ist nicht in Worte zu fassen. Es schien, als würden die Krawatten der Kollegen alle über mich lachen. Sie hatten anscheinend alle ein zusätzliches Talent und ein großes Verdienst und sind „dort oben“ beliebt. So war es, „dort oben“ war für einige jemand, der sie mit Erfüllungen auf einem Tablett erwartete. Ich habe versteckt geweint, ich habe geschworen, von keinem „Wandvater“ mehr etwas hören zu wollen, und ich blieb nach dem Unterricht mit der Genossin in der Bibliothek, um in den Erdkundebüchern nach einem anderen Land zu suchen, in dem man offen reden kann und wo es kein „dort oben“ gibt. Nach fünf Jahren Bibliothek habe ich so Vieles gelernt, dass mir eine Entscheidung schwerfiel. Jetzt ist der Markt nicht mehr da für Bauern, sondern für Marktbestücker: Personen, die anscheinend Tomaten und Kartoffeln behüten. Sie haben keine Hände oder Staturen, um die Erde umzugraben, die Tomatenpflanzen zu gießen, oder was sollen wir noch reden vom Bücken über die Beete mit Kohlrabi, Salat, Kraut, Spinat oder, was alles auf dem Feld gedeiht. Sie, die Marktbestücker, leben auf dem Marktplatz und an seinen Rändern, nicht in ihren mit Gärten umgebenen Häusern. Auf dem Marktplatz sind sie es, die die Hände aufhalten für dein Geld. Bis die Ware – man nennt sie weder Kartoffeln noch Zwiebeln, sic! – auf den Betontischen, keine üblichen Markttische aus Holz, landen, haben sie einen weiten Weg hinter sich! Der Marktbestücker bekommt rumänische Ware nur mit Glück in die Hände. Die Ware kommt von weither, darum nennt man sie auch „Ware“. Sie kommt auf krummen Wegen aus der Türkei, Bulgarien, Holland und manchmal sogar aus Jordanien, Ägypten, Israel. Der Marktbestücker braucht die ganze Zeit Glück und ein gutes Verhältnis zum Schicksal, jenes, von dem Vater mir erzählte, dass es die ganze Zeit an unserer Seite schreitet. Er „legt die Hand auf die Warenware“, so sagt man jetzt, wenn er eine Art Verwandte einer anderen Bekanntschaft mit einer anderen Verwandtschaft des Marktleiters ist. Das hörte ich mit meinen eigenen Ohren in diesem Sommer von einer Frau, die versucht hat, eine Handvoll Knoblauch zu verkaufen. Ich wunderte mich, wie sie am Rande des Platzes kauerte, wo sie ihren Knoblauch auf einem Kopftuch ausgebreitet hatte. Vielleicht war ihre Geschichte nicht vollständig, aber wie sagt das Sprichwort: „Er hat weder Knoblauch gegessen, noch riecht er aus dem Mund“.* Dann wollte ich Knochen für das Hündchen, das noch in unserem Hof lebt, kaufen. Im vergangenen Jahr gab es einige Stände hinter dem Marktplatz, wo Knochen verkauft wurden, ja, schlicht und einfach Knochen, ein Paar Lei die Tüte. Ich war nicht die Einzige, die kam um paar Kilogramm zu kaufen und sie dann mit Reis zu kochen. Auch der Hund ist eine Art Mensch, er kann nicht die ganze Zeit nur trockenes Brot essen, sagte Mutter. Auch er benötigt etwas Brühe, um zufrieden schlafen zu können. Gut, hinter dem Rahova-Platz gibt es nichts mehr. Also keine Buden, ansonsten Haufen von Unrat, Alteisen, invalide Autos, als wären sie aus irgendwelchen Höhen heruntergefallen und hätten sich die Rippen und Beine gebrochen, sie haben weder Reifen noch Scheiben und die Gepäckräume sind Zufluchtsorte für Hunde und Katzen. Auf verwitterten Stühlen sitzen Männer zwischen Pfützen und spielen Tricktrack in auf ansehnlichen Bäuchen klebenden Turnhemden, konzentriert und bedeckt mit Fliegen. „Wo sind die mit den Knochen“, frage ich, versuchend soweit wie möglich auf den Zehenspitzen zwischen zwei kleineren Pfützen zu stehen. „Was sagst du, Knochen, welche Knochen, na weißt du nicht …?“, antwortet einer, der mit dem Zahnstocher zwischen den Zähnen und mit dem perfekt ausgestreckten kleinen Finger mit einem langen und sichtbar mit der Feile bearbeiteten Nagel. „Ich weiß nicht, was ich wissen soll …“ „Die mit den Knochen ist auf die andere Straßenseite gewechselt …“ „Warum?“ „Frag nicht, geh und schau, Knochen findest du hier keine mehr, Töpfe, wenn du willst, Holzlöffel, oder willst du auch ein Mädchen …“, und das Lachen bewegte ihre verschwitzten Trikots, und ihre von Staubschmiere in Stalaktiten- und Stalagmitenformen bedeckten Hälse vibrierten, und die Würfel fielen ziellos vor lauter Lachen zu dem Gesicht, das ich auf ihren Vorschlag mit dem „Mädchen“ zog. „Und warum ist sie umgezogen?“ „Sie ist halt umgezogen, weil der Chef es so wollte.“ „Der Markt hat einen Chef?“ „Komm, hau ab von hier, bist wohl eine Sektiererin, dass du das nicht weißt oder nur so tust; hier ist der mit dem großen und glänzenden Auto, dass du kein Haar auf ihm siehst, der Chef, der, den man Nicki Scorpion nennt …“ „ Ach so, gut, ich gehe.“ Ich überschritt die Straße. So war es. Sie hatten Knochen. Dort war nicht nur ein großes Auto abgestellt, sondern mehrere, alle tränenrein, leer, es war niemand drin, dass auch ich fragen hätte können wie und was. Ein Junge saß auf dem Gehweg und traktierte mit einer Rute eine Pfütze, die sich aus dem Wasser gebildet hatte, das vom Platz abfloss und auf der Suche nach einem Weg zu einem Kanal war, den es nicht fand. „Wem gehört das Auto?“ „Wie, du weißt da nicht, na wie ‚wem’, dem Scorpion.“ „Alle?“ „Ich weiß nicht.“ „Aber du, warum spielst du in der Pfütze?“ „Ich warte.“ „Auf was?“ „Dass sie mir etwas zum Tragen geben.“ „Was zum Tragen?“ „Waren.“ „Warum?“ „Na, was soll ich machen?“ „Du sollst zu Hause bleiben und spielen.“ „Und was soll ich essen?“ Er hat mir nichts verlangt. Er sah mich mit blau umringten Augen an, er hätte mir jede Frage beantwortet, aber die Kraft, mir etwas zu verlangen, hatte er nicht mehr. Ich habe ihm 5 Lei gegeben und er hat sich gleich eine Käsetasche gekauft und sie nicht verkaut. Man konnte sie auch nicht kauen, ich habe auch eine gekauft, sie schien aus Gummi zu sein, mit wenig Käse und viel Kautschuk, ja, heißem Kautschuk. „Komm“, sagte die Verkäuferin zu mir, „schau nicht so, heute, morgen wirst du selbst das nicht mehr kauen …“ Ich habe die Knochen gekauft und dem Hund trotzdem auch noch zwei Brote genommen und habe versucht in die 32er Straßenbahn zu steigen. Jetzt ist es eine lange, moderne, mit vielen Türen, mit einem Stempelgerät oder gar zwei, wenn sie nicht defekt sind. Niemand zieht ein Ticket, niemand stempelt. Ich sitze mich trotzdem mit den schweren Tüten hin. Wenige Sekunden vor dem Aussteigen hält mich eine korpulente Frau an der Schulter fest. „Halt! Die Fahrkarte, Ausweis, und nicht schreien.“ „Bitte?“ „Komm, mach schneller.“ „Ich kann nicht. Sehen Sie nicht, dass ich die Hände voll habe? Sie ist in der Kleidertasche.“ „Halt! Den Ausweis … euch kennen wir schon.“ Die Leute stiegen teilnahmslos aus. „Gut, ich bleibe, steige nicht aus, hier ist die Fahrkarte.“ Mittlerweile sind die für so schwere Lasten und so viel Aufregung nicht geeigneten Tüten gerissen und meine Kartoffeln sind von allein die Stufen hinabgerollt. „Das Ticket ist nicht gut.“ „Wie ist es nicht gut, Sie haben doch gesehen, wo ich eingestiegen bin und was ich getan habe.“ „Geben Sie mir ihren Ausweis oder 20 Euro …“ „Bitte? Ich denke gar nicht dran …“. Und ich habe meine Handtasche unter den Arm geklemmt, das Handy hervorgenommen und einen Freund aus dem Stadtviertel angerufen, er möge doch kommen und mich von diesem Rottweiler-Mensch befreien. „Wen rufen sie an?“, begann die Frau, mit einer Art Ausweis herumfuchtelnd, „die Polizei darf nur ich anrufen.“ „Genau, ich habe bei der Polizei angerufen“, sagte ich, mich wieder hinsetzend, denn während dieser Zeit war die Tramway an ihrem Linienende angekommen und fuhr zurück in die Stadt. Ich habe gewartet, bis die nächste Haltestelle kam. Die übergewichtige Kontrolleurin stieg langsamer als meine Kartoffeln aus und rannte schlicht und einfach weg. Die Menschen ringsherum sind überhaupt nicht eingeschritten. Vor Jahren hätte es eine Schlägerei gegeben und viele Schreie pro und contra. Interessant ist, dass diese Szene sich noch zweimal wiederholte, auch an einem Samstag, auch gegen Ende der Linie auf dem Rahova-Platz, und auch nur mit mir. Während eines Besuchs in der Polizeidienststelle des Viertels wegen einem anderen Problem fragte ich aus Neugierde, ob man etwas von diesen sonderbaren Kontrolleuren, die in der Tramway immer nur mich mit einem Ton ansprechen, der einem Mörder gezieme, und mir mit der Begründung, dass mein Fahrticket nicht gültig sei, Geld verlangen. „Ja, wir wissen, samstags sind auf dieser Route gar keine Kontrolleure im Einsatz, die versuchen nur zu Geld zu kommen und wählen Sie, weil sie sich nicht vorstellen, dass Sie sich währen, und etwas Geld geben Sie ihnen doch. Die ersten Erfahrungen, die ich in Bukarest auf der Straße mit einem plötzlich angreifenden Erwachsenen oder einem Kind, das sich wie ein Saugnapf an deine Knie heftet, machte – nur die Ägypter machen uns diesbezüglich Konkurrenz! -, gab mir zu denken, ich suchte nach Lösungen, die ersten Besuche in Bukarest machte ich nur in Begleitung von Freunden. Dann erinnerte ich mich an Vaters Einteilung in gute und böse Schicksale: Ich versuche, das schlechte so weit wie möglich hinter mir zu lassen und mich an das gute zu halten. Ich wende mich aber lieber dem angenehmen Besuch auf dem Marktplatz zum Kauf einer Melone zu. Mutter erklärte ihm „klar und deutlich“, aber Vater registrierte nicht, wenn du ihm mit Details kamst. Er wiederholte „Ja, ja“, zwinkerte lausbubenhaft mit dem linken Auge und schritt durch das Tor hinaus. „Was hat sie gesagt …?“ Mutter war für ihn eine „sie“. … Sie sagte, er machte. … Aber er merkte sich selten etwas, er wusste, was er wusste, was ein anderer wusste, war dessen Problem. „Eine Melone.“ „Ja, ja … eine Melone“. Also sie sagte ihm, dass er eine Melone kaufen soll. Eigentlich wollte Mutter, die Arme, uns samstags los haben. Es war ein Tag, an dem sie waschen, die Bäume mit Kalk weißen, lüften und aufräumen konnte. „Der Sonntag muss dich frei erwischen“, war eines der von Mutter mit großer Anstrengung geretteten Gesetze, wie auch viel Vertrauen und Freude, die sie von dort aus ihrer traditionellen Welt in die Hauptstadt mitgebracht hatte. Ja, der Sonntag fand uns immer frei, ein Gefühl, dass alles einen Sinn und Geschmack hat, den du nie vergisst. Am Samstagabend schufteten wir schwer für die Freiheit am Sonntag. Alle Hühner mussten kontrolliert werden, also ob sie noch da waren, ob sie gut schliefen, ob ihre Schüsseln ausgewaschen und alles frisch war. Es wurde den ganzen Samstag gewaschen und gestärkt, von Klein bis Groß, und das nicht im Scherz. So gelangten Vater und ich mit dem Vorwand, dass die Melonen dort besser sind, als die, die in den Straßen aus den Wagen verkauft werden, auf den Marktplatz. Er war sehr angetan von dem Markt und hätte alles Mögliche gekauft, aber ich sagte ihm dauernd, dass wir das und jenes schon haben. Mutter war eine perfekte Haushälterin, so dass er „dieses Mal nur soviel zu tun hatte“, eine Melone zu kaufen. Eh, als ein wahrer Mann hatte er eine Idee: bei Vetter Ionel, „der Friseur von Rahova“ vorbeizuschauen, um sein blondes und dichtes Haar schneiden zu lassen. Ionel wurde von Tante Paula über Augentelepathie gesteuert. Er gab Vater einen Weichsellikör und hatte für ihn auch eine Idee: Er möge doch Fußball schauen und am Ende ein paar Kilo Wolle von Costicăs Leana kaufen. „Ja, ja, Herr Willi, sehr gut Woll“, freuten sich alle, wenn sie Vaters Rumänisch und sein Lächeln imitieren konnten. Ich wehrte mit Händen und Füßen ab, er blinzelte verschmitzt, ich flüsterte ihm zu, wie stark Mutter sich ärgern würde, aber er musste beweisen, dass er allmächtig und allwissend ist. War er doch gerade aus Deutschland gekommen und hatte neben vielem Kleinkram auch Vorreiber, Spielhosen und das famose „Mischto“ mitgebracht. Um noch großartiger zu erscheinen, sagte Vater dem Friseur Ionel, er möge mir eine Glatze verpassen, damit ich „endlich schweige“. „Liebling“, versuchte Ionel mich mit zwischen Weiß zu Gelb schimmernden Augen zu beruhigen, „willst du einen Luftballon?“ „Ich will.“ „Willst du auch das Buch über Nils Holgersson? … Schau, es ist dick aber schön.“ „Ich will.“ Und, schau her, so haben sie mich kahl geschoren. Vater hatte in jenen Jahren eine vorgefasste Meinung: Kahlscheren verdichtet dir das Haar, nachher wirst du sogar mehr, als du brauchst, haben. Viele Kinder in Rahova waren kahlgeschoren, aber ich denke, aus ganz anderen Gründen, denn ihre Haarmengen und Locken werden die Eltern nicht besonders interessiert haben, waren die meisten von ihnen doch im Dreischichtbetrieb in Fabriken und Werken beschäftigt. Das Buch hatte er kostenlos bekommen. Die Verlage schickten Bücher überall hin, auch die Friseurstuben bekamen einige Exemplare. Nils Holgersson hat mir mit seiner Gans Aka viele Länder gezeigt, aber es war nur ein einfaches Buch, und auch so klein ich noch war, Märchen waren Märchen und das Leben Leben. Vater glaubte ich noch mit seinen Erzählungen, naiv wie sie waren, brachten sie mich zum Lachen, aber von Mutter reden wir lieber nicht. „Ja, ja, ich kann dich bis ans Ende des Lebens in die gewünschte Richtung führen, ja, ja …“ Sie haben die Richtungen der Anderen vergessen, die Armen, die dich durch einen Sectoristen, einen Zettel in die richtige Tasche gesteckt oder eine zur rechten Zeit erfundene Geschichte genau in die entgegengesetzte Richtung führen können, mit allem zusammen, Pünktlichkeit und Diploms. Glattgeschoren, mit einem Luftballon am Kleidverschluss befestigt und mit einer zu schweren Melone, einem Vater, der nach einigen Weichsellikören auf Straßenmitte ging, kehrten wir nach Hause zurück, wo wir alles in Ordnung vorfanden. Aber nicht alle sind wir angekommen. Die Last der Melone hat mich erdrückt. Sie ist mir auf die Mitte des Weges gefallen. Die größte rote und verschwitzte Melone, die ich je gesehen hatte, viele Kerne rundherum, und Vater schmunzelte bübisch, frisch geschoren. „Ja, ja, was wirst du sagen?“ Ich habe zu weinen begonnen, was konnte ich sagen, meine Hände schmerzten, ich dachte: Mutter wird schimpfen, ich habe keine Haare mehr auf dem Kopf, und jetzt haben wir auch keine Melone mehr. Ich erinnere mich an den Blick der Mutter, als wir in den Hof kamen: eine Frau weiß wie Kalk und stumm. Wie hatte sie uns beide weggeschickt und wie sind wir zurückgekommen! Wir hatten wahrscheinlich versucht das Schicksal zu offenkundig hinters Licht zu führen, und zu kumpelhaft; und wie es uns erwischt, uns ein Bein gestellt hat. Eine andere Erklärung für die Kälte, die ich um meinen „entblößten“ Kopf herum spürte, hatte ich nicht; und die zur Freude der Fliegen zurückgebliebene Melone, hatte die Arme doch bis in die Nähe unseres Hauses ausgehalten. Es war auch das einzige Mal, dass ich so viel Mut hatte: Ein Luftballon, ein Buch und eine Melone … auf einer Chaussee, die, wie mir damals schien, wenigstens die Hälfte von Bukarest durchquerte. Die Melonen habe ich niemals mehr in den Armen getragen. Alle schienen mir zu schwer. Von allen Friseuren hatte ich den Eindruck, dass sie nur unbarmherzig schneiden und unwahre Geschichten erzählen wollten, um jeden Preis an ihrem Lebensmodell festhaltend. Vater lachte hinterfotzig unter seinem schiefen Auge und dem Schnurbart, auch wenn er gar keins der beiden hatte. … „Jeder Vogel stirbt auf seine Art. Also, du passt das nächste Mal auf “, sagte Mutter, „dass er dich nicht mehr kahlschert, um nichts in der Welt.“ Ja, ja, aber wie solltest du sowohl Vater als auch Mutter recht geben? Ah, und es gibt im Rumänischen noch ein Sprichwort, das ich nicht von Mutter gehört habe: Die Ratschläge sind gut zum Erteilen! [aus dem Rumänischen von Anton Potche] *Worterklärungen - Er hat weder Knoblauch gegessen, noch riecht er aus dem Mund. / rum.: Nici usturoi n-a mâncat, nici gura nu-i miroase. / - rumänische Redewendung im Sinne von: Er tut, als ob er nichts wüsste, als ob nichts geschehen wäre. Er spielt den Unschuldigen. |
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