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Bei der Granatapfelernte in Rahova – 20
prosa [ ]
Erinnerungsroman von Anni-Lorei Mainka [Almalo ] (1958 - 2014)
Serien: Ãœbersetzungen

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von [Delagiarmata ]

2019-08-30  |   

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Von der Haarpflege und dem Unterschied zwischen Altreich und Siebenbürgen

Heute kann das Haar jederzeit, nach Belieben und von jedermann gefärbt werden.

In den 60er – 70er Jahren habe ich keinen Menschen mit violettem, grünem oder blauem Haar gesehen.

Mutter kämmte ihr Haar, das ihr über die Taille reichte, jeden Morgen mit Sorgfalt. Ein Ritual, das nach Reinheit roch, über eine halbe Stunde anhielt, und bei dem der aus der DDR gebrachte Kamm aus Knochen, den sie wie ein Heiligtum behütete, nicht fehlte.

Dann bürstete sie es mit einer Bürste mit Griff (Holzgriff bei den alten Haarbürsten) und geborstenem Lack sowie verlöschter Schrift, die sie von Gode (Taufpatin) bekommen hatte – die in einem Methusalemalter jährlich die Erlaubnis bekam, einige „Tanten“ in Boston zu besuchen -, und als Mutter von so viel Bewegung nicht mehr atmen konnte, fixierte sie es mit vielen Spangen – wie ein Jongleur oder Konditor, der seinen Beruf beherrscht – in Schneckenform am Hinterkopf: eine siebenbürgische Tradition.

Es war das längste Haar, das ich in meiner Kindheit sah.

Die Frauen im Stadtteil machten sich Dauerwellen, alle gleich, krause und zerzaust, und einige übertrieben es am Wochenende mit dem sogenannten Kölnischwasser oder bulgarischem Rosenwasser, dass du dich beherrschen musstest, nicht an der ersten Haltestelle auszusteigen.

Das am meisten benutzte Parfüm war in Siebenbürgen 4711. Es gab kein Fensterbrett, keine Schublade oder kein Nachtkästchen ohne Fläschchen in verschiedenen Größen, einige sogar winzig, mit der großen Aufschrift „4711 Kölnisch Wasser“, und die Buchstaben waren so verbogen, dass ich am Anfang glaubte, das wären Schmierereien.

Eigentlich war es eine Nachahmung der gotischen Schrift, die alle noch in Österreich-Ungarn geborenen Tantchen und Großmütterchen lesen konnten.

Was ich nicht wusste: So lernte man in der Schule bis lange nach dem „Krieg mit den Deutschen und Russen“ schreiben, nämlich gotisch*.

Auch auf die Geburtsscheine, die Mutter auf der obersten Ablage des Schranks versteckt hielt, war in der gleichen verschnörkelten Schrift mit schwarzer Tinte geschrieben. Und die anderen Nachweise waren nicht klein und handlich, nein, sie waren wie ein Leintuch. Auf ihnen waren alle Paten – und bei den Protestanten konnten das bis zu sieben sein! -, Patenkinder, die vor Ort waren, und Geburtstage vermerkt; nur dass der Lebensfaden nicht aus den Augen verloren geht.

Die Lockenwickel waren aus verbogenem Plastik. Wer welche aus Metall hatte, konnte sich glücklich wähnen. Wenn du durch das Fenster in die Damenfriseurstube schautest, sahen die Frauen wie verhaftete Marsmenschen aus, mit trüben Blicken, mit einer kleinen Hoffnung für einen hohen Preis: „Die heiße Qual unter der Haube eines schiffbrüchigen Kosmonauten; beim Verlassen des Salons werde ich die Schönste sein!“

Das kurze Haar war ein Zeichen der Jugend, nur die Älteren trugen es hinten gebunden.

Von den Wagen, die samstags gegen Sonnenuntergang durch das Viertel fuhren und die Luft und den Staub aufhielten, hörte man die Rufe der Gemüsehändler. Es waren bunt gekleidete Frauen, mit langem, in schwarzen, dicken, mit roten Schleifen gebundenen Zöpfen geflochtenem Haar.

Und heute könnten wir uns fragen: Welche geheimnisvollen Öle mögen sie verwendet haben für diese Haarpracht? Auf jeden Fall keine bulgarischen Wässer oder andere, die heute in den sterilen Regalen der Einkaufszentren stehen.

Siebenbürgen war eine für die Bukarester so weit entfernte Welt, wie es fast das ganze Ausland war, und tauchte nur in Mutters Erzählungen auf.

Ich habe in der Lutherischen Kirche keine Tante aus Siebenbürgen mit Dauerwellen oder ohne einen um den Hals gewundenen Schal gesehen. Einige bekamen sogar bayerische Hüte von ihren Verwandten, mit Feder nach bayerischer Tradition. Dann hättest du das Gelächter der Kinder unter den Bänken sehen sollen und das Sich-gegenseitig-Anstoßen der mit den Augen auf den Priester konzentrierten Mütter, die nicht wussten, warum wir lachen.

Der Priester musste sich viel Mühe an Tagen geben, an denen irgendeine Tante mit Feder oder Kragen, bestückt mit Füßchen verschiedener Nagetiere, erschien, aus denen im laufenden Gottesdienst eine gesättigte Motte auftauchte …

Wir Kinder versuchten sie zu fangen, zogen uns aber eine spontane Ohrfeige zu, und die Ruhe kehrte wieder ein zwischen den von nimmermüden Füßen in unerschütterlichem Glaube abgenutzten Bänken.

Die Motte verschwand schnell. Sie hatte nach Wahl Krägen und Mäntel aus Kamelhaar, Kaschmirkopftücher und mit Naphthalin getränkte Pelze.

Die Lutherische Kirche war eine Art Mottenparadies, eine Mantelbörse und ein Umschlagplatz für Ware aus dem „Packet“.

Der Westen tauchte auch ab und zu in den Erzählungen der anderen auf, im Flüsterton und mit großer Bewunderung, wenn irgendeine Tante aus Deutschland oder Amerika zurückkam und Tütchen mit gut riechenden Kleinigkeiten verteilte. Er, der Westen, tauchte gelegentlich auch aus dem „Packet“ auf und machte eine „Runde durch die Stadt“, könnte ich sagen, um bei Ärzten, Zahnärzten, Näherinnen, Professoren und Nachhilfelehrern zu landen, also überall dort, wo du eine „Aufmerksamkeit aus dem Packet“, „von drüben“ … aus dem Ausland, vorwiegend dem Westen und im schlimmsten Fall auch aus Russland oder Bulgarien anzubieten hattest.

Jene, die nur aus Siebenbürgen kamen und in der Lutherischen Kirche vorbeischauten, verteilten nichts. Sie saßen redselig an unserem Tisch und erzählten, dass dort bei ihnen die Äpfel viel größer als die aus dem Regat* waren, und die Schafe viel weißer, die Mädchen viel dicker, also alles war „viel mehr“.

Mutters Kusins waren einmal bei uns, bevor sie endgültig nach Deutschland zum Onkel meiner Mutter, Onkel Andreas, der nach dem Krieg in Deutschland geblieben war, auswanderten.

Sie waren die Einzigen, die uns „Honklich“ mitbrachten, eine Art Stollen mit viel mehr Rosinen und Nüssen als der Stollen, den wir in der Alimentara* an der Barriere kaufen konnten, und damals begann ich zu glauben, dass dort in dem Land „unser Siebenbürgen“ wirklich alles viel größer und die Menschen fröhlicher waren, und ich verstand, warum sie keinen Kontakt mit dem Regat haben wollten, wo die Menschen „Ioi, ioi, Sonnenblumenkerne kauen und die Schalen auf den Boden spucken“ …

„Onkel Fredi, gibt es bei euch keine Sonnenblumenkerne?“
„Doch, aber die werden nur von den Vögeln gefressen, denn sie sind nicht für die Menschen.“

Und so habe ich begonnen, zu verstehen, was es mit „ihrem Siebenbürgen“ auf sich hat, wo man genau unterschied zwischen Menschen und Vögeln, wo man aber mit Kühen sprach wie mit Menschen, und wo der Sonntag heilig war, wo man das Haar schneckengewunden von der Hochzeit bis zum Tode trug, denn es zu kürzen, erdreiste sich eh niemand.

„Moter, warst du jemals beim Damenfriseur?“, habe ich meine Großmutter gefragt, nachdem ich die Aufnahmeprüfung auf die Hochschule bestanden hatte und ihr erzählen wollte, wie es bei den Prüfungen war.
„Nein, was soll ich dort bei den Herrinnen suchen, die nach Kleiderschrank riechen. Ich halte mein Haar gut unterm Tuch, wie es meine Mutter auch gemacht hat.“

Und meine Moter (Großmutter) kämmte sich morgens in aller Ruhe. Sie hatte einen Teller voller schöner Haarspangen, einige aus Knochen, Achat, Bernstein oder braunem Kunststoff, man sah, dass sie nicht vom Marktplatz stammten, sondern schon mehr von der Fremde gesehen hatten als viele von uns in jener Zeit.

Die Frauen trugen nach der Hochzeit ein Kopftuch, und das nicht wegen einem Luftzug. Sonntags hatten sie ein teureres und dickeres Kopftuch. Die Männer trugen eine Baska* oder im Winter eine Pelzkappe aus Schaffell. Selten trug ein Mann mit Erfahrung im Stadtleben auch einen Samthut, den er entstaubte, nur um ihn zur Kirche spazieren zu tragen.

„Mutter, Großmutter ist gestorben, du musst auf niemand mehr hören“, sagte ich ihr, als ich sah, wie sie sich in den letzten Jahren mit dem Waschen, Kämmen und Zusammenbinden ihres schon schütteren Haares quälte, und der „Pferdeschwanz“ ließ sich nicht mehr flechten und in verschiedenen Arten drehen.

„Jetzt habe ich ihren Platz eingenommen“, sagte sie, „jetzt muss ich tun, was sie tat; damit es gut ist, musst du auch alles richtig machen, wie du es bei uns gesehen hast.“

Die Männer durften kein langes Haar haben. Und schon längst keinen Bart.

„Schau, ein Mann, der nicht kurz geschoren ist, ist ein Faulpelz, wie ein Mann, der seine Schuhe mit abgetragenen Absätzen nicht pflegt“, fügte Mutter manchmal hinzu, wenn wir den Cișmigiu durchquerten.

Die Absätze unserer meistens auf Bestellung angefertigten Schuhe hatten kleine Eisenplättchen, damit sie sich nicht abnutzen und wir uns lächerlich machen. Manchmal, wenn ich mich von Mutters entschlossener Hand ziehen ließ, hörte ich die Plättchen auf der frisch gewaschenen Allee des Parks und hatte den Eindruck, keinen Unterschied zwischen dem Trampeln der Pferde auf der Măgurele-Chaussee und dem der Plättchen, die nebeneinander hergingen, wahrzunehmen.

Die Fuhrwägen waren, ja, damals eine Art kleines Auto. Mit ihm gelangten die Bauern aus der Umgebung früh morgens bis zur Barriere, von wo es weiter ging mit Handwägen, Fourgons, oder man bestach den Milizmann in der Kreuzung und fuhr bis zum Marktplatz. Aber einige gaben nichts, oder hatten nichts, oder sie befürchteten ihre Pferde zu erschrecken.

Um den Marktplatz war ein Ring von kleineren oder größeren Wägen und Pferden mit einem Futtersack um den Hals, aus dem sie fressen konnten, und hinter ihnen lag ein Haufen Stroh, damit sie nicht den Gehweg mit ihren Pferdeäpfeln beschmutzen konnten.

Die Augen der Pferde schienen aber nicht traurig zu sein wie jene, die ich vor etwa fünf Jahren sah, auch auf dem Marktplatz, vor dem Beitritt zur EU. Nach dem Beitritt haben die Pferde Bukarest verlassen und ihre Besitzer, Menschen mit Geld und ohne Führerschein, haben sich anstelle von Pferden einen Chauffeur gekauft, den sie jetzt mit der gleichen „Sensibilität“ im Zaum halten.

Besser, ich kehre zu den Haarschnitten meiner Kindheit zurück, denn schon wieder habe ich mich zwischen den Absatzplättchen und den Pferdewägen auf dem Rahova-Platz verloren!

Die Jungen hatten alle den gleichen Haarschnitt, kurz, mit einem kleinen Stirnhaar, wie mit einer Säge zugeschnitten und mit einwandfreiem Schnitt im Nacken. Die Maschine war eine Art Rasenmäher, nur viel kleiner. Zu Beginn waren sie ohne Strom, sie hatten Metallgriffe und ich glaube, sie kamen aus Russland oder der DDR. Dann tauchten die mit Strom auf und die Jungs waren im Nu im Nacken skalpiert. In jenen Momenten freute ich mich sehr, Mädchen zu sein. Urteilend nach den kleinen Augen und den zusammengepressten Lippen, strahlte das Zwicken über den Nacken hinaus … Ich fragte mich, ob ihnen so mit nacktem Genick nicht kalt sein wird, denn wir Mädchen hatten alle langes Haar und trugen in der Schule Bändchen.

Einige hatten Bändchen aus Stoff, andere aus speziellem Kunststoff, und wenn du Glück hattest, besorgte dir jemand von irgendwo ein breites, weißes Kunststoffbändchen, dann warst du anders als die Anderen.

Als ich mit etwa 28 Jahren zum ersten Mal in den Westen kam und sah, dass die Jugendlichen sich gleich kleiden wollten, verstand ich die Welt nicht mehr. Wir Uniformträger träumten davon, uns wenigstens durch einen Aufnäher von den Anderen unterscheiden zu können, nicht alle die gleichen Bändchen oder Baskas zu tragen. Und hier in den Schulhöfen des Westens wollen die Mädchen alle die gleichen Jacketts tragen …

und die gleiche Schuhform … nur die Reden wir nicht mehr drüber, dass ich ganze Busse voll Rentner bei „Kaffeefahrten“ traf, eine „Reise während der sie einen Kaffee bekamen, und man Werbung macht“, die den gleichen Haarschnitt und die gleichen Dauerwellen hatten Farben unterschieden sich von denen der Kindheit, und die Parfüms.

Die Kleiderunterschiede waren selten, wenn man bedenkt, dass wir Uniformen trugen, an die nur einige Mütter eine, zwei Schleifen annähten, um eine Taille sichtbar zu machen, irgendeine menschliche Form.

Die Männer hatten, vielleicht als Freiheitszeichen, eine verlorene Locke auf der Kopfmitte. Etwas Ältere legten sie sogar von einer Schädelseite auf die andere und behandelten sie mit Wasser und Seife, damit sie unverrückt bis abends hält, schämten sie sich doch ihres Glatzeflecks auf der Schädelmitte.

Aber die Freiheit kam nicht weiter.

Vielleicht muten diese Details komisch an, aber jetzt, wo wir auf dem Kopf tragen können, was wir wollen, haben wir jene Zeiten vergessen, in denen uns bewusst war, dass, wenn es hieß „Komm mit deinem Vater und geschnittenem Haar zur Schule!“, etwas nicht in Ordnung war, und das nicht nur mit der Bekleidung oder dass jemand zum Friseur gehen musste.


[aus dem Rumänischen von Anton Potche]

*Worterklärungen
- gotisch = Sütterlinschrift
- Regat = gemeint ist Rumänien als konstitutionelle Monarchie (Königreich) nach 1862 durch den Zusammenschluss der Fürstentümer Moldau und Walachei mit der Hauptstadt Bukarest
- Alimentara – Lebensmittelläden im Kommunismus
- Baska (rum.: bască) = in Rumänien gerne getragene Kopfbedeckung (eine Art Schirmmütze ohne Schirm)


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