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Bei der Granatapfelernte in Rahova – 31
prose [ ]
Erinnerungsroman von Anni-Lorei Mainka [Almalo ] (1958 - 2014
Compilation: Ãœbersetzungen

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by [Delagiarmata ]

2021-09-17  | [This text should be read in deutsch]  

Literary Translation - Translations of classic and original poetry and other materialsThis text is a follow-up  | 



Ãœber Sommer und Ferien in Bukarest - Teil 2

Ich habe mich in meinem Leben oft gefragt, was „anaerob“ bedeutet, oder andere Wörter, mit denen wir in der Schule und Hochschule gequält wurden: z. B. „Azimut“ oder „Kugelfang“. Selten, dass jemand verstanden hat, um was es sich handelt. Man wusste es einfach nicht und brachte sich dafür auch nicht um. So wie sich jahrelang die Offiziersfrauen, Generäle, nichts aus der Militärakademie machten, putzten wir Waffen, standen stramm und verachteten die Feldkost! Und, was bringt es mir, wenn ich heute weiß, was ein „Kugelfang“ ist?!

Was das Verstecken betrifft, hätten der Feind und ich uns sowieso vor Angst verkrochen, und ich glaube nicht, dass sie mir drei Sommer meiner Jugendjahre in unförmigen Uniformen auf dem Feld hätten verderben müssen. Die zogen mich hinunter. Bestimmt waren sie aus Steinstoffen angefertigt. An einem Sommermorgen habe ich beschlossen, ohne den schweren Sakko zu gehen, weil es mir in keiner Weise gelang, ihn am Hals zuzuknöpfen. Ich spürte, dass ich ersticke, und heftete mir die Epauletten ans Hemd.

Ach ja, bis wir zur Militärakademie kamen, wo wir um 5:50 Uhr strammstehen mussten, lächelten mir in den Trolleybussen und Haltestellen alle zu und grüßten mir. Diese Aufmerksamkeit, tat mir sehr gut, ja, ich stand mit einem Grad über den Soldaten im Trolleybus. Was ich nicht wusste, war, dass du diesen Mantel immer tragen musstest, man konnte nicht einfach so im Hemd gehen, wie kalt oder warm auch immer es war, nicht einmal tot. Das erfuhr ich dann beim Appell.

Unser Offizier, eine junge und hübsche Dame (ich weiß nicht, wie sie, wo doch ihre ganze Familie in der Armee diente, umgeben von lauter Uniformen lebte), wurde auf der Stelle bleich, ich dachte, sie wird ohnmächtig und es ihr von irgendeinem Essen übel ist. Sie hatte mich aber eigentlich nur ohne Mantel gesehen und der General sollte in wenigen Minuten zur Kontrolle kommen. Ich musste vor die Mannschaft treten und eingestehen, dass es ein Fehler war, ohne Mantel zu erscheinen. Ich habe den Grund meines Fehlverhaltens geschildert und auch erklärt, warum ich andere Militärschuhe trug: Die ich bekommen hatte, waren schlecht verarbeitet und verursachten mir Hühneraugen.

Der General sagte mir, dass es nichts macht, ein Soldat tut alles für sein Land. „Ja, wenn er gehen kann“, ergänzte ich und zog meine Schuhe aus. Es trat eine Stille ein, in der unsere Offizierin nicht einmal ohnmächtig werden konnte, denn das hätte zu viel Lärm verursacht.

Alles wurde mir verziehen, ich durfte mit meinen eigenen Stiefeln kommen und bekam einen Mantel aus anderem Stoff, der mir nicht den Hals zuschnürte. Nie mehr haben Soldaten mir so gegrüßt, als an jenem Morgen, an dem ich nur in der Bluse mit den an ihr nach Belieben hin und her flatternden Epauletten unterwegs war.

Die deutsche Schule in der Dorobanți-Straße war 1973 neu, das Laboratorium auch. Der Chemieprofessor, Herr S., hat versucht, etwas an die Tafel zu schreiben. Nach den ersten Versuchen hat er sich gestreckt, so weit es ging, der weiße Kittel, den er im Chemielabor trug, engte ihn aber vom Unterarm bis zur Achselhöhle ein, so dass er unter dem großen Lehrpult verschwand und irgendwo unten auf dem Fußboden wieder auftauchte. Wir, stumm vor Angst, er könnte uns einen Test aufbrummen, haben nichts dazu kommentiert.

Das Schmunzeln ist uns auf den Lippen gefroren, als Herr S. versuchte, sich aus seiner misslichen Lage zu befreien, mit seinen sophistischen Witzen, über die er sich mit seinen weißen Zähnen krummlachen konnte. Ja, davon hatte Herr S. genug: weiße, gesunde Zähne, die er beim Sprechen alle zeigte. Er hoffte wahrscheinlich, man würde ihm seine kleine Statur nachsehen, und stolzierte sich eben mit dem, was er hatte, also ein Gebiss, das seinen Glanz nicht durch Nikotin oder Kaffee eingebüßt hatte. Ich glaube, darum hat er es sich angewöhnt, alles, was er laut sagte, auch mit der Hand in der Luft zu schreiben. Alle Chemiestunden waren eine Art Pantomime, in der wir einen kleinen Professor nur als Büste wahrnahmen, obwohl er aufrecht stand und mit seiner rechten Hand ununterbrochen Chemieformeln in die Luft zauberte. Die Kreide zerbrach ab und zu, obwohl sie gar nicht zum Einsatz kam. Vielleicht von der Körperwärme? Wir kapierten nicht, wie sie am Ende der Stunde nur noch Stückwerk sein konnte! Herr S. tauchte wieder aus seiner misslichen Lage glücklich wie der alleinige Sieger auf einem Schlachtfeld auf.

Ich habe Herrn S. nicht vergessen. Du kannst einen Professor, der selten und korrekt schrieb, aber in der Luft, der viel und nur für sich verständlich redete, aber bei den schriftlichen Chemiearbeiten olympiareife Ansprüche hatte, gar nicht vergessen. Bei der letzten Schularbeit habe ich ihm ein Gedicht über den Regen geschrieben, das für mich genügend chemische Bausteine hatte, aber für ihn wahrscheinlich ein gelungener Schock war, den er mir mit einer 5* vergalt.

Die erste Physikprofessorin, Frau P., war in der ersten Stunde jung, schlank und mit einem roten Rock gekleidet. Dann hat sie geheiratet, schminkte sich oberflächlich, nahm sichtlich zu und trug einen breiten, tintenblauen Rock, den sie viele Jahre lang nicht mehr auszog, dazu war sie zu jedem Jahresende schwanger und fehlte monatelang. Von Zeit zu Zeit kam sie zurück in die Stunden, sprach und bewegte sich im Zeitlupentempo, gab viele Ratschläge aus der Physik und viele Seiten Lesematerial für zu Hause. Was sehr gut war, aber das verstanden nur die, die jemand fragen konnten, was nicht bei allen der Fall war. Nachdem sie etwa drei, vier Kinder geboren hatte, ist sie verschwunden.

Die nächste Genossin bei Physik war Frau B., eine Frau ohne Alter, flink, markant, die mit ihrer lauten Stimme mehr Respekt einforderte als mit ihrer zierlichen Erscheinung. Sie fehlte nie. Ich weiß nicht, was sie so gesund hielt, wahrscheinlich die Physik, die sie, nach der Art ihres Unterrichts, ziemlich liebte. Der Lehrstoff Physik bekam mit Frau B. Kopf und Fuß. Sie konnte den Raum auch ausfüllen, ohne das Laborpodest zu besteigen. Unglaublich, Frau B., eine Frau so klein wie der Chemieprofessor S., gelangte auch bis zur Tafel. Irgendwann hat sie sich in den Zeichenprofessor verliebt, fehlte aber auch dann nicht.

Spät bekam sie ihr einziges Kind und wurde uns noch sympathischer, denn wir verehrten alle den Zeichengenossen, Herrn C. Ein sportlicher Typ, gelassen und verständnisvoll. Du hattest den Eindruck, dass sogar das Zeichnen ein wichtiges Lehrfach ist, so hingebungsvoll erklärte er uns, was es mit dem Punkt und der Linie auf sich hat. Großes Erstaunen konnte man in unseren Gesichtern lesen, als wir erfuhren, dass er auch Boxer war!

Auch wir Kinder hatten verschiedene Krankheiten und einige brachen sich schon mal ein Bein oder eine Hand beim Schifahren. Fehlen vom Unterricht war trotzdem keine Gewohnheit. Ich, die im Internat jahrelang alle bekannten und unbekannten Krankheiten hatte und viele Tage und Monate im Krankenhaus verbracht hat, wurde jetzt in der Schule nicht krank, selbst wenn ich es versucht habe! Um Fieber zu machen, hieß es, musst du Kreide essen. Aber wir schafften das auch mit Kreide nicht.

Im Krankenhaus hat Mutter mich nur selten besucht. Beim Eselshusten oder Entzündungen wurdest du von der Welt isoliert und konntest alle nur durchs Fenster sehen. Dort warst du gesessen, im abgeschlossenen Zimmer, und hast auf das Wochenende gewartet oder auf frische Luft und besonders auf Bananen und Orangen. Es war klar: Die Spitäler waren wichtiger als Weihnachten oder Ostern, denn dort konnte man diese paradiesischen Früchte in viel größerer Menge antreffen als unter dem Tannenbaum.

Ich erinnere mich an Victor Ganea. So hieß ein Junge aus dem Internat, mit dem ich sechs Jahre lang dasselbe Schicksal teilte. Montags brachten uns die Eltern gesund und schon am Dienstag internierte uns Genossin Vicki, die sehr gut Cruella de Vil ähnelte, aber damals wussten wir nicht, dass die Menschen sich ähneln. Oft waren wir gar nicht so krank, ich glaube, sie wollte uns beide aus Gründen loshaben, die ich erst später aus anderen zufälligen Schilderungen erfuhr.

Victor Ganea, den alle Kinder so riefen – darum erinnere ich mich auch an seinen kompletten Namen, nicht weil ich ein besonders gutes Gedächtnis hätte -, hatte zu Hause einen Fernseher, und im Spital erzählte er mir die Filme mit Stan und Bran, die ich nirgends sehen konnte. Gelb wie die Wände der Spitäler, zeigte er mir den ganzen lieben langen Tag, wie Stan spricht und Bran sich wundert. Ich lachte so appetitlich zwischen den Hustenanfällen und schmerzhaften Atmungen, dass der Arzt oft kam und uns ermahnte, so viel Lachen sei nicht gut. Spielsachen hatten wir kaum, so dass die Erzählungen uns mit dem Schicksal jener Wochen in der Isolation versöhnten.

Im Spital war es viel besser. Es gab weniger Vorschriften als im Internat, wo du nur morgens und abends Pipi machen durftest. Wer wollte oder tagsüber musste, machte in die Hose und landeten in der Ecke, wo er wie ein im Regen vergessenes Huhn stand und lernte, was „nicht schön ist“.

Die Folgen jener Jahre mit allen Umerziehungen, die wir in der Sofia-Straße durchmachten, waren zahlreich und düster. Die Sofia-Straße war von ihrer Art her eine ruhige Straße, mit alten Linden und vielen Vögeln, die frei sangen.

Die Internat-Villa hatte einige Stockwerke und war von einem Schmiedeeisenzaun umgeben, an dem viele von uns sich an so manchen Abenden festklammerten, um auf unsere Eltern zu warten, die zu unterschiedlichen Uhrzeiten kamen. Diese feuchte Kälte des mit Öl eingelassenen geschmiedeten Eisens zog bis in die Backenknochen und die kleinen Hände konnten das gesamte Zaunrohr nicht umfangen. Als die Eltern kamen, hatten wir fast alle zwei schwarze Streifen im Gesicht, wie intensiv jeder halt wartete.

In der kleinen Gruppe passten unsere Köpfe noch zwischen die Gitterstäbe, im letzten Jahr beneideten wir dann die Kleinen, die ihre Eltern vor uns sahen. Ich fragte die Kleinen von Zeit zu Zeit, ob sie Mutter nicht sehen, diese Frau in den weißen Blusen mit vielen Stickereien, mit Perlen am Hals und das schwarze Haar mit großen Nadeln zusammengehalten, gelassen, mit kleinen Schritten, wie kleine Menschen das tun, aus Richtung der „Wölfin“-Statue im Dorobanți-Viertel kommend … Meine Mutter war die einzige Mutter, die keine Sonnenbrille hatte, also sie nicht trug. Sie störten sie, sagte sie mir, lieber hielt sie die Augen offen. Später erzählte sie mir dann mal die Geschichte mit der Sonnenbrille.

Ich fragte oft mit nur halb durch die Stäbe gezwängtem Kopf, bis ich ermüdete , und das andere Kind langweilte sich auch, dauernd mit „nein“ zu antworten, dass keine Mutter mit vielen Stickereien, festgebundenem Haar und gemächlichem Gang in Sicht sei. Es waren viele Mütter, die es eilig hatten, mit Handtaschen und farbigen Blusen, nur wenige Väter holten am Freitagabend ihre Kinder in der Sofia-Straße ab. Ich glaube, sie waren das Modell aus der Fibel, also in der Fabrik Schweißer oder beim Fischen die mit Würmern von Viorels Sorte, auch aus der Fibel.

Einige Male blieb niemand, den ich fragen konnte, dann hatte ich den gesamten Sandkasten für mich. Und ich wusste, dass Mutter zu tun hat, Vater in der Fabrik weilt und der nächste Tag Samstag ist und ich wieder allein spielen kann mit allen Schwänen und Holzlokomotiven. Und in den großen Fernseher konnte ich schauen. Er stand oben auf einem Schrank und niemand weinte links und rechts neben mir. An jenen Tagen, allein in der gesamten Villa, konnte ich Pipi machen, wann ich wollte, denn Tante Vicki machte sich noch mehr Kaffees, rauchte noch mehr Zigaretten, schloss auch die Türen nicht mehr oder öffnete die Fenster.

In der Stadt, vom Unirii-Platz, über den Cișmigiu* bis rauf zum Nordbahnhof und dem Matache-Platz hatten die Kinder keine Eiterpickel, ich weiß nicht wieso, und nur, wenn sie erkältet waren, näselten sie, was bei uns im Viertel ganz anders war. Mihăiță und Mioara haben ihr ganzes Leben lang durch die Nase geredet. Wahrscheinlich wegen der Häuser aus Erde, in denen sie geboren wurden.

Damals war es in der Schule schöner als zu Hause, umgeben von den Eltern und Apostrophierungen wie: „Hast du deine Hausaufgaben gemacht? … Geh Brot holen … Ich sage das Vater, wenn er nach Hause kommt, dann wirst du schon sehen …“

Ich hatte Kollegen, die waren einer durchtriebener als der andere, wenn es um kreative Abwesenheits-Ausreden ging. Die Kollegin L. D. hat der Klassenlehrerin, eine blasierte, immer müde Frau, völlig unbeholfen in ihrem Vortragsfach Geografie, erzählt, dass es, das Mädchen aus der sechsten Klasse, einen Tag lang in einem Kühlschrank eingeschlossen war und darum nicht in die Schule kommen konnte. Niemand hat gelacht, soweit ich mich erinnere. Wir haben uns alle gefragt, wie groß der Kühlschrank – ich glaube, damals gab es nur die Marke „Fram“ – wohl war, und bewunderten es, das Mädchen mit der großen Brille, das einen ganzen Tag der Kälte getrotzt hat. Jetzt, wo ich mich erinnere, frage ich mich, woher dieser Mut kam, eine banale Geschichte so realitätsfremd zu erzählen, und besonders, wieso niemand nur ansatzweise kommentiert hat. (Damals kam die Antwort auf solche Fragen prompt: „Damit du fragst!“)


[aus dem Rumänischen von Anton Potche]


*Worterklärungen
- 5 = die beste Note im rumänischen Schulsystem ist die 10, die schlechteste die 4 (nicht bestanden)
- Cișmigiu = größter und ältester Park im Zentrum Bukarests

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