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Bei der Granatapfelernte in Rahova – 41
prose [ ]
Erinnerungsroman von Anni-Lorei Mainka [Almalo ] (1958 – 2014)
Compilation: Ãœbersetzungen

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by [Delagiarmata ]

2022-11-11  | [This text should be read in deutsch]  

Literary Translation - Translations of classic and original poetry and other materialsThis text is a follow-up  | 



Sulina – Teil 4

Vater ging genau um 22 Uhr schlafen, doch nicht bevor er Freies Europa* hörte und die Nachrichten mit denen anderer Radiosender verglich – ich glaube nicht, dass er der einzige war, der Abend für Abend gleichzeitig mehrere Radiosendungen hörte. Früh zu Bett gehen machte Sinn. Man stand um zwei, drei Uhr nachts auf, bis Mittag wurde gearbeitet, danach ergriff die Hitze von allem, was sich bewegte, Besitz. Über das Städtchen legte sich ein Netz der Stille mit Fischgeruch, vermengt mit feinem Staub von der Küste und jede Art von kleinen Fliegen aus dem Delta.

Die Elektrifizierung zog sich jahrelang hin. Es kamen junge Arbeiter, einige fanden hier ihre Liebe, die sie dann auf einer anderen Baustelle verloren. Wenige sind geblieben und wurden Fischerschwiegersöhne. Ich erinnere mich an einen, der, glaube ich, Voicu hieß. Viele lachten ihn wegen seiner Angst vor Würmer und Fischen aus, aber er kam immer mit uns zum Fischen, und, wie es sich so ergab, nur an Voicus Füße hefteten sich die Blutegel. Wenn Voicu Blut sah, wurde er ohnmächtig, so dass nach der Heimkehr vom Fischen ihn immer einer stützen musste.

Ich habe ihn nicht ausgelacht, es tat mir leid um den kleinwüchsigen Mann, der herumhüpfte, als hätte er in Glut getreten, und an den Blutegeln zog, bis er Blut sah … Ich habe ihm gesagt, er möge nicht mehr mitkommen zum Fischen, aber er schämte sich: „Wenn du, so klein du bist, gehen kannst und dich nichts anbeißt, warum kann ich es dann nicht?“

Er machte sich Mut und kaufte sich hohe Gummistiefel. Wir hatten so etwas nicht, gingen sogar barfuß. Aber bei der Rückkehr war Voicu das sichere Opfer eines unbekannten, beißenden Insekts, und der Arme sprang herum und schrie, fiel entweder in Ohnmacht oder fürchtete sich, weil er sich auch an irgendetwas anschlug. Und doch hat Voicu nach vielen Jahren Delta geheiratet und uns stolz seine Familie gezeigt. Die hat ihn aber selbstverständlich nicht mitgenommen zum Fischen, denn es gab niemand, der ihn jedes Mal auf dem Heimweg stützen konnte.

Der Direktor war mit einigen „wichtigen“ Personen aus Bukarest überraschend zu einem Kontrollbesuch gekommen. Ein ernst dreinblickender Mensch im Anzug fuhr die Leute an:
„Warum arbeitet ihr nur bis Mittag? Im ganzen Land, diesem uns, den Arbeitern, gehörenden Land, wird von morgens bis abends gearbeitet.“
So schrie dieser weiße, mit dem Hubschrauber gekommene Mann herum, wie die Kinder erzählten, die von Beginn an dabei gewesen waren. Man konnte gut sehen, dass er noch nie im Delta war, die kleinen Fliegen störten ihn beim Sprechen und er schwitzte stärker als wir.
„Wer ist hier der Chef, ich sehe, dass ihr alle die gleichen Arbeitskleider habt … So geht das nicht mehr. Was wird die Partei sagen, wenn wir den Termin zur Fertigstellung nicht einhalten?“
Vater stand da, hörte zu mit seinem unter dem schrägen Auge versteckten Blick und schien zu lächeln. Ich sehe Vater heute noch, wie er sich entfernte und mit einem riesigen Hammer gemächlich zu dem Herr zurückkam, der in den Fliegen ertrank, während er versuchte, Urteile und Gesetze zu zitieren, nach denen der Plan erfüllt werden musste, und, die kleinen Fliegen ausspuckend, schlussfolgerte: „Die Partei duldet kein Durcheinander und Programm ist Programm.“
„Genosse“, sagte Vater, „hier ist ein Schmiedehammer, schlüpfen Sie in einen Overall und hämmern Sie zwischen 11 und 16 Uhr drauflos, hier in der Sonne!“
Dann reichte er dem weißen Herrn aus Bukarest energisch den Hammer. Später habe ich erfahren, dass der Mann höchstpersönlich Minister war. Der Direktor neben ihm wurde weiß wie Kalk und jammerte herum.
„Herr Minister, wir bitten Sie, wir alle, seien Sie ihm nicht böse, er ist hier der Chef und weiß sehr wohl, was er tut, er wollte nicht … es wird nicht mehr passieren!“, stotterte er.
Augenblicklich trat Stille ein. Der Minister aber ließ den Schmiedehammer fallen, ohne dass allerdings sein Fuß, der Fuß des Genossen mit den Allüren eines Herrn, in Mitleidenschaft gezogen wurde, sondern nur die Spitzen seiner Lackschuhe.

Vater ließ sich sein Schuhwerk anfertigen, es war nicht so schön wie die Schuhe dieses Herrn. Er hatte Stoßplättchen an den Sohlen, nur an den Sandalen nicht. An den Sandalen hatte nur ich welche, wofür ich mich in der Schule schämte, ich ging fast auf den Zehenspitzen, damit man sie nicht hörte. Irgendwann habe ich ein Messer genommen und sie entfernt. Ich habe einen Skandal riskiert, war die Plättchen aber endgültig los.

Dieser Herr hatte keine Stoßplättchen, man sah das feine Leder des ganzen Schuhs, fein, ohne Falten, ohne kaum bemerkbare Risse zwischen Knöchel und Schuhspitze, wie bei billigem Schuhwerk, das man in den Kaufläden bis zum Unirii-Platz kaufen konnte.

Der Laden, wo meine Eltern ihre Schuhe anfertigen ließen, die aufgereiht mit den Schuhspannern in der vorderen Vitrine standen – auch sie auf Bestellung gekauft -, lag gegenüber dem Telefonpalast in einer Passage. Er hatte ein Schaufenster, in dem ich mein Spiegelbild sehen konnte, so sauber war es. Die Bestellungen zur Anfertigung wurden vor Weihnachten und Ostern abgegeben. Wollten sie sich damit vielleicht das Gefühl einer Beschenkung herbeizaubern?

„Nein. Wie kommt ihr drauf. Nur nach Geschenken steht euch der Kopf“, sagte Mutter, misstrauisch in unsere Zukunft den Kopf schüttelnd. „Nein, an Weihnachten und Ostern musst du sauber bekleidet sein, mit etwas neuem, wir gehen doch in die Kirche!“

Ich hatte vergessen, ja, wir müssen doch auch dieser lüsternen Schar von Greisen und alten Weibern, die ein paar Nächte in Kölnischwasser schliefen, dem gleichen, das übers ganze Jahr nach ranzigem Puder und Schweiß roch, aber stolz benutzt wurde, etwas zeigen. „Ich bin ja ein Arbeiter, alle sollen es wissen“, hörte ich eines Tages den Mann Tante Emmas deklamieren. Sie, Emma, war die Pförtnerin der deutschen Schule. Sie hatte so große Augen, dass ich dachte, sie hält die Luft an, anders konnte ich mir ihren offenen Blick über die Augenbrauen nicht erklären!

Dass wir keine Pelze und Kragen mit Pfötchen im Sonntagsgottesdienst hatten, lag nur daran, dass Mutter sie mit der Begründung, sie nicht zu benötigen, verschenkt hatte; ach, wie mich das ärgerte. Ich wünschte mir auch eine Mutter mit einem Pelz bis unter die Nase, dass die ihr direkt in den Kragen tropfen würde und sie beim Verlassen der Kirche dieselbe geniert putzen könnte.

„Diese Schuhe halten bis zur Rente.“ So sahen sie auch aus, aus dickem Leder, widerstandsfähig, plump, nicht so glatt wie die des Herrn Minister. Warum machen sich nicht auch die anderen Menschen Schuhe, die ein Leben lang halten? Ich glaube, an das habe ich, mit den Augen auf des Ministers Schuhe gerichtet, gedacht. Nach der plötzlich eingetretenen Stille und der Reglosigkeit im Umfeld hörte man nur noch etwas zwischen Ruf und Schrei. Der Fuß blieb irgendwie an seinem Platz. Aber der Mann, der so beherzt zu den Arbeitern gesprochen hatte, sah jetzt aus wie ein vom Fahrrad gefallenes Kind.

„Macht nichts, Genosse Minister, wir haben das sehr oft“, sagte Vater und zeigte seine Finger mit von Hammerschlägen blauen Nägeln. „Auch andere haben Unfälle … und wenn wir in der grellen Sonne arbeiten, häufen sich die Unfälle.“

Der Direktor wusste nicht, wie er den Herrn im Anzug beruhigen sollte. Plötzlich interessierte sie nicht mehr, wer von wann bis wann arbeitet und ob der Plan, den, sagten sie, die Partei „höchst persönlich“ kontrolliert, erfüllt wird oder nicht. An diesem Tag wurde Vater über Nacht ein Held, „der, der dem Minister einen großen Schmiedehammer gab“, den dieser nicht einmal paar Minuten halten konnte und ihn fallen ließ. Die großen Kontrolleure sind kopfüber samt ihrer Begleitung aufgebrochen. Seit damals begrüßten die Arbeiter und Ingenieure Vater mit ¬noch mehr Achtung und kamen vor Sonnenaufgang zum freigewählten Arbeitsprogramm, denn für das Tagesklima waren die Bukarester anscheinend nicht zum Überleben ausgerüstet.

Auf der Insel gab es alles. Kleine Läden mit dem Geruch von altem, mit Wachs eingeprägtem Holz, Kaffee wie in Bukarest, große in vielen Nuancen von braun und schwarz leuchtende Bohnen. Sie hatten auch einen Damenfriseurladen, einen Kinosaal, in dem alte Filme mit knarzigem und zweideutigem Ton abgespult wurden, eine Bibliothek mit abgenutzten und verstaubten Büchern, und dann noch einige Kirchen. Die Kirchen befanden sich in einer dauernden Renovierung. In jedem Sommer konnte ich aber die Restaurierung der Heiligen verfolgen. Und die Freundschaft mit den Malern, die mehrheitlich gerne hier arbeiteten, gab den Sommern ein besonderes Flair von einem Leben am Ende der Welt.

Auf diesem Schotterweg zwischen Schilf und Friedhöfen, kam man im Schrei der Kormorane leichter ins Gespräch. Danach ging man wie abends in der Stadt auf der Promenade spazieren, die gleichen Fragen und Antworten mit dem in der Ferne verlorenen Blick, die Kleider waren andere, und die Luft. Als wir zurück in der Stadt waren, hatten wir den Mund voll mit kleinen Mücken vom Weg, mit Sand; und alle hatten wir Durst.

Ich hielt manchmal in einem der Friedhöfe inne. Am Weg war das Grab eines Jungen, den ich von meinen ersten Besuchen in Sulina kannte. Er war mit seiner Mutter aus der Tschechei gekommen, um gesund zu werden. Er hat einige Jahre ohne Schmerzen gelebt, Sonne und Luft haben ihm etwas Lebenskraft gegeben. Als ich in einem Sommer wieder kam, zeigte seine Mutter mir Fotos und freute sich, mit mir an sein Grab zu gehe, das sie mit weißem Marmor bedeckt hatte. Sie waren nicht die Einzigen, die nach Sulina gekommen waren, um zu genesen.

Auch Tante Käthe kam zum Schrecken meines Vaters, der nicht wusste, wo er sich am Strand postieren sollte, wenn Mutters Tante, „die Kröte“, wie er sie nannte, auftauchte. „Teau Eni, hier ist nichts in Ordnung“, apostrophierte er sie den ganzen Tag lang. Mutter schwieg und machte alles, was die Tante sagte. Vater verkroch sich im Hotel und wir wohnten mit der Tante in Miete. Er ignorierte uns sowohl am Strand als auch abends auf der Promenade, obwohl „die Kröte“ zu dieser Zeit das Haus gar nicht verließ. Unsere Begegnungen waren ein Albtraum. Ich rannte an den Strand oder in die Friedhöfe.

Den jüdischen Friedhof konnte man nicht den ganzen Tag über betreten wie die anderen. Er war verschlossen und wurde nur auf Wunsch oder für Begräbnisse geöffnet. Er war der gepflegteste und reinste, wie man zwischen den Betonpfosten sehen konnte.

Eines Tages war ich mit Mutter bei einer Familie Lipowaner* eingeladen. Er hieß Sava, den Namen seiner Frau habe ich mittlerweile vergessen. Sie hatten ein kleines Häuschen, klein und mit Schilf gedeckt, das letzte auf dem Weg zum Badestrand, genau vor dem jüdischen Friedhof, und das erste bei der abendlichen Rückkehr in die Stadt.

Als wir ankamen, wurden wir empfangen wie an Feiertagen, obwohl gar kein Feiertag war. Die Menschen des Deltas haben selten Gäste, und wenn jemand kommt, ist es eine Ehre, haben sie uns gesagt. Sie hatten keine Kinder und wohnten in ihrem Häuschen mit vielen Fenstern und gehäkelten Vorhängen. Sie hatten gepflegte Katzen, die geduldig auf die Fischabfälle warteten. Von unserem Essen gab es nichts für sie.

In der Fisch-Ciorba* gab es keine Köpfe, alles war passiert und ergab diese Ciorba, die du nie vergessen wirst. Die Fleischklößchen waren aus Fisch, aber ohne Spuren von Schuppen und Gräten. Das ganze Essen war ein Fischmenü. Was würde ich nicht dafür geben, um zu wissen, wie Frau Sava, die Frau mit dem kleinen Dutt, die im Flüsterton sprach, so dass ich mich an nichts mehr erinnern kann, dieses Suppengericht gekocht hat! Herr Sava war ein untersetzter Mann mit einer Mütze, der sich mindestens für einen Bootskapitän hielt. Wenn er die Schirmmütze abnahm, sah man sein von der Sonne gegerbtes Gesicht; die kleinen, blauen Augen, ähnelten denen ihrer braven Katzen, die resigniert warteten; und ja, er ärgerte sich, wenn wir ihn als Russen apostrophierten: „Ich weiß nicht viel über die Abstammung meiner Vorfahren, aber ich bin von hier, aus Schilf und Fischen.“ Niemand hätte hier erkannt oder gesagt, er sei ein Russe. Es waren Lipowaner, aber selbst das sagte niemand mit lauter Stimme. Es waren Menschen aus Wasser und Fisch, aus ihrem Delta und dem allgegenwärtigen Schilf. Familie Frangetti schickte ihnen oft Fische, die ich ihnen stolz in einem Raphia-Beutel brachte. Als ich am anderen Ende der Insel ankam, bekam ich ein teeartiges Getränk, das in einem Fischnebel mit Anisgeruch dampfte. Aus dem Hof der Familie Sava sah man auf einer Seite nur Kreuze oder auf der anderen nur Schilf. Eine große Auswahl gab es in dieser Ecke der Welt nicht, der Himmel war der gleiche wie in der Ecke Rahova, nur die Luft war anders, sie brachte kleine Mücken, Sand und einen Fischzusatz.

Es gab noch eine Art Chef der Insel: Genosse Tulbejanu. Er hatte ein Motorrad mit Beiwagen und war trotz seiner ansehnlichen Statur mit Bauch und schwerem Gang eine Person in Eile und auf große Taten aus auf den paar Kilometern Land. Er war der Mittelsmann zwischen Fischern, Baustellen und so ziemlich allem, was sich auf der Insel bewegte. Dieser Tulbejanu besorgte alles, woran es in Sulina mangelte, und wir begegneten ihm immer, wenn wir gingen oder kamen.

Sulina, das Städtchen der Fischer und des Schilfs, bleibt in der Erinnerung der 1960er eine Landzunge mit mehr Friedhöfen als Toten, mit dem alten Leuchtturm und den Sirenen der Überseeschiffen, die anhielten, um eigentlich Luft zu schnappen; aber auch mit uns, die Eis aßen und morgens um Fünf in der Schlange beim Metzger standen, um Fleisch zu kaufen, das noch frisch nach dem geschlachteten Tier roch.

So ist es in der weiten Welt zwischen den Großen Gewässern, die Zeit ist eine andere, die Kirchenglocken läuten und nur die Menschen mit dem Gehör in der Brust hören sie.


[aus dem Rumänischen von Anton Potche]


*Worterklärungen
- Freies Europa (rum.: Europa Liberă) = vom amerikanischen Senat finanzierter Radiosender, bis 1995 mit Sitz in München, jetzt in Prag, strahlt Programme in 28 Sprachen aus, auch Rumänisch
- Lipowaner (auch Lipovener) = russischsprachige Minderheit in der Ukraine und Rumänien
- Ciorba = rumänisches Nationalgericht (gesäuerte Suppe mit verschiedenen Fleisch- und Gemüsezutaten)

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