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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2008-11-29
| [This text should be read in deutsch]
Ich weiĂ nicht, wie andere sind, aber ich erschaure immer vor Entsetzen, aber auch vor EntzĂŒcken, wenn ich mich der Mittagmahle meiner Kindheit erinnere. Es war zur Zeit von Dejs Kanal, der, an dem auch Vater sich verdingte, als Eisenbahningenieur. Der Kanal war eine andere Art von Unterschlupf fĂŒr diverse Feinde des Volkes, einige diesseits und andere jenseits der StacheldrĂ€hte. Es wurde schwer gearbeitet, aber Vater wusste, der Kuckuck weiĂ von wo, dass dieses Monstrum von Kanal von russischen Spezialisten so geplant war, dass es nicht funktionieren konnte, also das Wasser der Donau floss nicht ins Schwarze Meer, sondern umgekehrt. Eigentlich sollte ich erst spĂ€ter erfahren, dass Stalin die ganze Geschichte Dej nahe gelegt hatte, der sich beklagte, mit den bĂŒrgerlichen Intellektuellen nicht zurechtzukommen. VĂ€terchen hat ihm die Idee zu diesem Kanal gegeben, an dem er die Bourgeois erschöpfenden Arbeiten aussetzen sollte, die diese nicht lange ausfĂŒhren könnten. So wĂ€re er sie bald los. Und so war die ganze âInteliganziaâ* RumĂ€niens an einem Ort zusammengepfercht: Schriftsteller und Zeitungsmacher, Minister und Karriereoffiziere, Philosophen und hohe FunktionĂ€re etc. Viele von ihnen kannte Vater aus dem öffentlichen Leben der Vorkriegszeit, hatte von ihnen in Zeitungen gelesen, grĂŒĂte sie in den Bukarester CafĂ©s oder im Casino von Sinaia, in der Oper. Jetzt grĂŒĂte er ihnen nicht mehr, denn er hĂ€tte sich verdĂ€chtig gemacht und sein Ansehen war so fragil, dass es ihm zu jeder Zeit so ergehen hĂ€tte können, wie jenem Arbeiter, der VĂ€terchens Schnauzbart auf dem groĂen Bild von Cernavodă verschmiert hatte. Zwei Ferien aus den ersten Schuljahren meiner Kindheit sind so auf den staubbedeckten Baustellen des Kanals verstrichen.
Es war schön wie alles, was in der Kinderzeit geschieht. Vater nahm mich tĂ€glich mit in der Kabine eines Lastautos, in der Regel der Marke ZIS, also Zavoda* Josef Stalin, mutiert zu ZIL, also Zavoda Iljitsch Lenin, nachdem Kruschtschow Stalin an Land gezogen hatte; er nahm ihn aus dem Mausoleum und steckte ihn in die Erde der Kremlmauer, damit auch er wie jeder Tote verfaule. Diese LKWs waren langsam und produzierten eine Rauch- und Staubwolke wie eine ganze Panzerdivision. Es war ein VergnĂŒgen, als ich zum ersten Mal in einen Molotow stieg, ein schnelleres und umweltfreundlicheres Auto. So, auch stehend hinter der Kabine, kam ich tĂ€glich nach Pallas, Basarab, Poarta Albă, Saligny, Cernavodă. Es gab viele Aprikosen, besonders auf den HĂŒgeln von Cernavodă und ich fĂŒllte mir den Bauch mit diesen saftigen und sĂŒĂen FrĂŒchten, die seit damals auch meine LieblingsfrĂŒchte blieben. Aber weil die Sprache auf das Essen kam, freilich, wir blieben bis abends spĂ€t auf der Baustelle und schon am Mittag schrie mein zartes BĂ€uchlein vor Hunger. Ich weiĂ verflixt nicht, wie Vater die Genehmigung bekam, dass ich mit den HĂ€ftlingen, den Feinden des Volkes, also den âBanditenâ, essen durfte. Ehrlich, ich hatte eigentlich keine Ahnung, was sich dort zutrug. Die Schwerstarbeiter schĂ€tzte ich als einfache Arbeiter ein und verstand gar nicht, warum Vater nicht mit âunsâ essen durfte. Ich aber schritt bei jedem Mittagessen auf die andere Seite des verzauberten Lagertors und nahm die Mahlzeit mit den HĂ€ftlingen. In Wirklichkeit war das Essen nicht schlecht, oft war es sogar besser als das der Angestellten. Besonders gut schmeckte mir die Gerstengraupensuppe, eine Art Getreide, das aussah wie Reis, etwas lĂ€nger, schmackhaft und reichlich gesĂ€uert mit Tomaten, die es auch in HĂŒlle und FĂŒlle wie die Aprikosen in der Dobrogea* gab. Wir nahmen an den langen Tischen Platz, meistens im Freien aufgestellt, so dass Vater mich oft von der anderen Seite des Stacheldrahtes sah. Ich setzte mich hin, wo ich einen Platz fand, manchmal wurde ich von dem einen oder anderen dieser ausgehungerten Gestalten â von der Arbeit, sagte ich mir â gerufen. Viele Kanalisten haben zugegeben (Teohar Mihadaş* ist einer von ihnen), dass das Essen wirklich nicht schlecht war, denn die HĂ€ftlinge hatten nicht nur die Pflicht zu sterben, sondern auch zu arbeiten, benötigten also Kalorien. So setzte ich mich jeweils an einen Tisch, an den ich von Menschen âeingeladenâ wurde, die zwar in Lumpen gekleidet waren, die mir aber einen unerklĂ€rlichen Respekt einflöĂten, vielleicht wegen der Eleganz ihres Benehmens, wie sie aĂen und sprachen. Als ich aus dem Gehege heraustrat, ĂŒbersĂ€ttigt und fröhlich ob der mitbekommenen Diskussionen, sagte Vater mir in einem subversiven Ton: âHeute hast du mit dem Minister gespeistâ oder âmit dem Abgeordnetenâ oder âmit jenem UniversitĂ€tsprofessorâ. Mit einigen knĂŒpfte ich sogar eine Art Freundschaft. Wahrscheinlich waren die armen Gefangenen froh, eine noch nicht pervertierte Seele in der NĂ€he zu haben. Ich suchte sie und ihre interessanten GesprĂ€che, soweit mein Verstand eines Kindes in der Elementarklasse etwas realisieren konnte. Nach einer Zeit fand ich sie nicht mehr und fragte Vater nach dem âHerrn Ministerâ oder dem âHerrn Abgeordnetenâ oder dem âHerrn Professorâ. (Wie leid es mir tut, dass mich ihre Namen damals nicht interessierten und ich sie darum nicht im GedĂ€chtnis behalten habe!). Ohne zu variieren, antwortete Vater immer: âEr ist gestorben, der Arme, er ist gestorben, der Arme.â Noch wusste ich nicht so recht, was der Tod bedeutete. Kaum dass ich etwas in Zusammenhang mit dem toten Matrosen verstehen konnte, der im Krankenhaus der MilitĂ€rmarine obduziert wurde. Aber Vaters Worte erschĂŒtterten mich, besonders weil er sie ohne jede makabre TonfĂ€rbung aussprach, so als ob nur etwas Normales vorgefallen wĂ€re. Lediglich eine einzige Figur habe ich mir gemerkt, ein Individuum mit ausgemergeltem Gesicht, mit durchdringenden Augen und mit einer sehr bedĂ€chtigen Redensart. Jetzt weiĂ ich nicht, ob es wahr ist, ich war auch nie neugierig, um mich zu interessieren, ob dieser Mensch am Kanal war. Aber als ich wĂ€hrend meiner Studentenzeit, so um 1964, eine Photographie auf dem Einband seines Buches âUltimele sonete Ăźnchipuite ale lui William Shakespeareâ* sah, sagte ich mir, âdas ist der Herr Doktorâ, so wie Vater ihn mir vorgestellt hatte. Es handelte sich natĂŒrlich um Vasile Voiculescu*. Ăber ihn hörte ich Vaters Aussage âEr ist gestorben, der Armeâ nie. Aber ich habe spĂ€ter erfahren, dass er nach seiner Entlassung nicht mehr lange lebte. Der Kanal hat ihn aufgerieben. Sollte es nicht wahr sein, mĂŒsst Ihr mir nicht glauben, wie auch ich Arghezi* nicht glaubte, als er behauptete, als 7-JĂ€hriger Eminescu* gesehen zu haben. âSe non e vero, e benâ trovato!â Wie auch immer, fĂŒr mich wurde der religiöse und isihasmische* Dichter so zur Ikone. Diese zur Besessenheit gewordenen VorfĂ€lle â wie eigentlich das ganze âJahrzehntâ war â haben mich geprĂ€gt. Wai!* Ich glaube, dass ich gerade am GefĂ€ngniszaun begonnen habe, das schöne Wort, frei von Verleumdungen, den Geist und auch den geistreichen Witz, der damals in jenen Gegenden nicht fehlte, zu schĂ€tzen. Einer, der noch lange nach dem Kanal gelebt hat, war Teohar Mihadaş. Er erzĂ€hlte mir oft und schrieb auch ĂŒber die schrecklichen Erlebnisse von dort in seinem Buch ĂŒber den rumĂ€nischen Gulag. âPe muntele Ebalâ* war das erste Buch, das nach 1989 im ersten freien Verlag, âClusiumâ, den ich am 26. Dezember 1989 in Klausenburg gegrĂŒndet hatte, erschien. Er erzĂ€hlte diese Geschichte mit einem seltenen Humor, manchmal sogar schallend lachend. Das war anscheinend die Schule der GefĂ€ngnisse, die ich versĂ€umt habe. Wie, werdet ihr bald erfahren. WorterklĂ€rungen*: - Inteligenzia = Spottausdruck gemĂŒnzt auf den rumĂ€nischen Diktator CeauÂșescu, der in seinen nie enden wollenden Reden, viele Ausdrucksfehler machte. Hier sollte es Intelligenz heiĂen. - Zavoda = Sprachanleihe aus dem russischen, wahrscheinlich = FĂŒhrer - Dobrogea = Landkreis an der SchwarzmeerkĂŒste - Teohar Mihadaş (1918 â 1996) = rumĂ€nischer Schriftsteller, armenischer Ethnie - Tudor Arghezi (1880 â 1967) = rumĂ€nischer Schriftsteller - Ultimele sonete Ăźnchipuite ale lui William Shakespeare = Die letzten eingebildeten Sonette William Shakespeares - Mihai Eminescu (1850 - 1889) = rumĂ€nischer Dichter - Vasile Voiculescu (1884 â 1963) = rumĂ€nischer Schriftsteller, Dichter - Isihasmus = theologische Doktrin, im 13. Jahrhundert auf dem Berge Athos entstanden - Wai! = rumĂ€nischer Ausruf des (eher unangenehmen) Erstaunens - Pe muntele Ebal = Auf dem Berge Ebal â Valentin Taşcu ist in den Morgenstunden des 26. November 2008 verstorben. â |
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