agonia
english

v3
 

Agonia.Net | Policy | Mission Contact | Participate
poezii poezii poezii poezii poezii
poezii
armana Poezii, Poezie deutsch Poezii, Poezie english Poezii, Poezie espanol Poezii, Poezie francais Poezii, Poezie italiano Poezii, Poezie japanese Poezii, Poezie portugues Poezii, Poezie romana Poezii, Poezie russkaia Poezii, Poezie

Article Communities Contest Essay Multimedia Personals Poetry Press Prose _QUOTE Screenplay Special

Poezii Românesti - Romanian Poetry

poezii


 


Texts by the same author


Translations of this text
0

 Members comments


print e-mail
Views: 2732 .



Bei der Granatapfelernte in Rahova – 16
poetry [ ]
Erinnerungsroman von Anni-Lorei Mainka [Almalo] (1958 - 2014)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
by [Delagiarmata ]

2018-06-01  | [This text should be read in deutsch]  

Literary Translation - Translations of classic and original poetry and other materialsThis text is a follow-up  | 



Von Straßenbahnen und Hunger

Die Straßenbahn brachte uns alle auf den Chirigii-Hügel* neben den Gärten der Metropolitankirche, aus denen uns mit neugierigen Augen, gespreizten Fächern und verzweifelten Schreien Pfaue und farbige Vögel ansahen; dann fuhr die Straßenbahn, sich wie ein Hund nach dem Regen schüttelnd, am einstigen Zoll aus roten Ziegeln vorbei, während die seit dem Krieg nicht mehr geschmierten Bremsen unter den Holztreppen Sterne produzierten.

Sie fuhr uns jahrelang und brachte uns ohne Unterbrechung bis zur letzten Haltestelle in die Straßenbahnremise hinter der Barriere, wo die Alexandriei-Chaussee begann.

Seit 1960 fuhren wir mit der damaligen 5. Straßenbahn an der Metropolitankirche vorbei und Mutter zeigte mir mit ihrer weißen Hand und dem extrem gelben Ehering und einem Ring mit rotem und weißem Steinchen die bunten Pfaue. Diesen zwei Ringen näherte ich mich erst nach dem Ableben der Eltern, sie waren eine Art Reliquien.

Als ich Kind war, bekam fast jeder meiner Freunde einen Ring von seiner Mutter, den auch sie von ihrer Mutter bekommen hatte und so weiter.

Einige mussten aber nach dem Krieg alles verkaufen, nach der Stabilisierung*. So erzählte mir Mutter, dass die Millionen großen Papiere mit vielen Bildern ihren Wert verloren hatten und das Essen wichtiger als Erinnerungen und Schmuck war.

Mutters Ehering aus weichem Gold, borst eines Tages, weil er so dünn war, und ging verloren. Mutter hat in den letzten Jahres den Ehering Herrn Willis, wie sie Vater nannte, getragen, der ihn nie am Finger hatte, so dass er intakt blieb, dick und extrem gelb.

Der andere Ring, auch er dünn, von Moter aus Amerika mitgebracht, mit einem Rubin und einem Saphir, habe ich einige Tage lang nach Mutters Tot getragen, und jetzt wartet er in Watte verpackt, dass meine Tochter ihn trägt.

Ich traue mich nicht, ihn zu tragen, um ihn nicht zu verlieren wie Mutters Antlitz nach den vielen Nächten, in denen ich sie mir in Erinnerung rief.

Vielleicht ist es auch dir, lieber Leser, passiert: Nachts aktivierst du Erinnerungen oder liebe Menschen und eines Tages wollen sie nicht mehr erscheinen, etwas ist in der Hardware der Seele und der Erinnerung gelöscht, das Unterbewusstsein stoppt nach eigenem Gutdünken die Erinnerungen.

Zum Beispiel: Uninteressante Straßenecken, das kreischende Lachen irgendeiner antipatischen Erzieherin oder die Spuckgewohnheit eines Nachbarn tauchen auch nach Jahren aus einem Weiler der Erinnerung auf, und wenn du dich fragst, warum gerade diese schäbigen Momente ungetrübt auftauchen, findest du keine Antwort.

Die Lebenssortierung macht anscheinend ein Menschlein in unserem Kopf, das seine Ideen hat und bei den Erinnerungen sehr eigensinnig ist. Als ich klein war, nahm ich mir vor, mir einige Bilder, die mir gefielen, gut einzuprägen, aber heute sind sie komplett ausgelöscht. Ich erinnere mich an einen Roman, Der kopflose Reiter, den mir Paula Cruceanu, eine Klassenkollegin, ausgeliehen hatte und den sie gelesen und schon vergessen hatte.
„Ich werde ihn nie vergessen“, sagte ich ihr. „Die Bilder sind so beeindruckend. Wie endet er . . .?“
„Ich weiß nicht. Auch du wirst ihn vergessen, wirst schon sehen . . .“

Diese Szene blieb mir in Erinnerung, aber zu dem Roman kann ich außer dem Titel nichts sagen.

Ich erinnere mich an Namen, die in meinem Leben überhaupt keine Bedeutung hatten, die perfekt wiederkehren, während von den meisten Menschen, nach denen ich mich sehne, ich höchstens weiß, wie sie gingen, schnell oder langsam, wie sie sich mir näherten, oder bestenfalls würde ich sie am Geruch erkennen.

Die sanften, warmen und lieben Augenblicke scheint das Gedächtnis nach besonderen Gesetzen auszuwählen, die nicht vom Wille abhängen.

„Schau mal, der Pfau, die Nonnen, die große Kirche.“
Und ich wiederholte mit Augen so groß wie das Straßenbahnfenster, noch verschlafener als ich.
„Der Pfau, ja, ja . . . Warum läuft er nicht weg?“
Die Pfauen im Hof der Metropolitankirche faszinierten mich ganz besonders. Sie waren ohnehin die ersten großen Vögel, die jedes Kind in Bukarest anfangs der 60er Jahre zu sehen bekam. Ich war schon in der ersten Klasse, als ich in den Zoologischen Garten Băneasa kam.

Mutter brachte mich nicht hin. Jemand hatte ihr erzählt, dass es dort sehr schmutzig ist und der Zwinger für die Wölfe nicht unbedingt gut verschlossen sei. Jahre später sollte ich mit meinen eigenen Augen die wenigen altersschwachen Wölfe sehen, Haut und Knochen, die selbst den offen gelassenen Käfig nicht verlassen hätten, und zwar nicht, weil sie sich die Freiheit nicht wünschten, sondern weil sie zu schwach, blind und taub waren.

Genauso der Löwe, die Affen waren frecher, und die Vögel hatten ein wahrlich seetaugliches Leben. Der Zoologische Garten war nur ein sicheres Ziel, wenn wir Gäste aus Siebenbürgen hatten. Stolz führten wir sie in den Zoo, auf den Libertății-Platz*, in den Herăstrău* und zum Essen von Zuckerwatte in den CiÈ™migiu.

Sonntagmorgens war es am schönsten. Das morgendliche Orchester im Cișmigiu, dann wir auf dem Weg zur Lutherischen Kirche und danach mit Trolley- und Autobussen zu den Touristenpunkten der Stadt. Fast überall war ein Väterchen mit einem Affe, der vortäuschte, ihm zuzuhören. Ich glaube nicht, dass er zuhörte, eher hörte das Väterchen auf den Affen. Dann waren auch die Papageien, die Zettel aus alten Schuhschachteln zogen, auf denen deine Zukunft stand.

„Nein, das machen wir nicht“, sagte Mutter und zog mich am Armgelenk, bis ihr Ring Spuren daran hinterließ.

Das Weissagen, die Glücksspiele waren für sie gleich mit dem Nichtstun oder dem Kauen von Sonnenblumenkernen und landeten in der Rubrik Dummheiten, und kein Argument konnte sie vom Gegenteil überzeugen.

Eines Tages bewegte ich Tante Käthe doch dazu, mir einen Papageienzettel zu kaufen.

„Wenn du beim Frühstück alles isst und du dir die Hände vor dem Essen wäschst, nehme ich dir einen Zettel und Zuckerwatte und Chips“, antwortete Mutters Tante, die einer Schildkröte ähnelte mit ihren vielen sich überlagernden Hautschichten am Hals, den Ellbogen und Gelenken.

Das Essen ist, wie man sieht, nicht nur bei den Rumänen eine zentrale Beschäftigung, sondern auch bei den Sachsen.

Ich hatte den Eindruck, dass Gott diese Tante Käthe auf die Erde gesandt hat, nur um uns zum Leeressen der Teller zu bewegen und uns den ganzen lieben langen Tag ans Händewaschen zu erinnern. Was über meine Auffassungskraft hinausging, war, dass sie sogar Vater dazu brachte, den Teller leerzuessen und sich die Hände zu waschen. Aber Vater antwortete ihr ruhig:
„Ich habe nicht in den Minen gearbeitet, habe keine Kohlen geschleppt, muss mich nicht waschen, bis die Haut kaputt geht“, und lachte, mit dem linken Auge zwinkernd, das schon von Natur aus schief war. Aber es schien so, als würde er dir zuzwinkern, während er sich in Wirklichkeit lustig über dich machte.

Tante Käthe in Streitlaune wandte sich wie eine Boje zu Mutter und schalt sie in einem für uns nach Marsianisch* klingenden Sächsisch, dass sie einen „Fremden“, also Nichtsachsen geheiratet hat.
„Theau Eni, sechs’te, dat Deitscha es wee da Zagun.“
Ich schreibe und übersetze natürlich aus der Erinnerung und weiß nicht, ob es ganz richtig ist. Aber ich habe den Satz so oft gehört, dass ich schwören kann, mich korrekt an ihn zu erinnern: „Tu Anna, schau auch du, der Deutsche ist wie der Zigeuner.“

Ich glaube, es in den vorherigen Kapiteln schon erwähnt zu haben, wenn wir sie die Straße heraufkommen sahen, rannten Mihăiță und ich so schnell wir konnten hinaus auf die Felder, wir verliefen uns bis abends, aber als die Nacht hereinbrach, mussten wir reumütig und voller Angst heimkehren; aber wir machten uns Mut, den verschiedenen Drachen, die anscheinend lüstern nach Streit auf uns warteten, die Stirn zu bieten.

Natürlich haute die spitze Stimme der Alten die Worte eins nach dem anderen heraus, sie zankte mit Mutter wegen jeder Kleinigkeit, und wegen mir fast die ganze Zeit.

Mutters gesenkter Blick tat mir weh, und seit damals esse ich den Teller leer, jahrelang wusch ich mir die Hände bei jeder Gelegenheit. Mutter verpflichtete mich zu nichts, sie sagte mir etwas einmal und wiederholte sich nicht, sie war sehr ernst.

Diejenigen mit den Weidenkörben und Säcken brachte die Straßenbahn bis zur Remise, von wo sie zur IRTA gingen, jene Busse die nach Bragadiru, Buda, MihăileÈ™ti, Vârteju, Dumitrana, DărăÈ™ti und andere Dörfer fuhren, an die ich mich nicht mehr erinnern kann; einige von ihnen sind heute auf dem Grund der Seen oder zerstört, um den Megaeinkaufszentren Platz zu machen, die am Wochenende von erkennbar ausgehungerten und begierigen Menschen mit Augen voller Würste und sauren Gurken, die den Anschein erwecken, als hätten wir nicht eine 50-jährige Diktatur hinter uns, sondern eine hundertjährige Hungersnot, leergekauft werden.

„Anscheinend haben die Bauern sich seit 1907 nicht erholt“, flüsterte mir eine Schülerin zu, während wir in der ebenso langen wie breiten Schlange standen, wo du mit jedem wie zu Zeiten in den Straßenbahn- oder Bushaltestellen ohne Schwierigkeit über alles ins Gespräch kommen kannst. Ja, es war eine Schülerin, ein armes Mädchen, das wahrscheinlich mit den Kleidern einer größeren Schwester in die Stadt gekommen war. Nach der Revolution von 1989 kann sich jeder in alle Richtungen bewegen, wann immer und überall.

Es scheint, der Himmel hat seinen Horizont verloren, nur die Möglichkeiten scheinen sich zu verengen nach diesen ungeschriebenen und geheimnisvollen Gesetzen der Transformationszeiten.

Ich habe meiner Tochter einen Carrefour gezeigt, und sie verstand nicht, warum die Menschen diese Unmengen von Lebensmittel kaufen. Es hatte den Anschein, dass alle auf Geratewohl und mit schnellen Händen einkauften, was den Eindruck eines Wettbewerbs erweckte: Wer am schnellsten und am meisten kauft, darf noch schneller und noch mehr kaufen.

Ich habe versucht, ihr zu erklären, wie es mit dem Hunger und dem Durst ist und der kollektiven Erinnerung – es ist schwer, den Schmerz in Worte zu fassen. Ich erinnere mich, wie ich in meiner Kindheit das Gesicht verzog, wenn ich in einer Schublade eine Brotkruste in dickem blauen Papier verpackt fand, dort versteckt von irgendeiner Tante Mutters.

Wenn ich fragte, was die Brotkrusten dort zu suchen haben, bekam ich zur Antwort: „Sei nicht unverschämt, leg sie wieder zurück.“
Ein andermal: „Was weißt du von Hunger, wir haben sogar Kartoffelschalen gegessen, Stroh, oder haben Gras geweidet …“
Ich lachte und rümpfte die Nase schon bei dem Gedanken, dass ich wie ein Schaf auf allen Vieren weiden sollte … sowieso schien mir das Gehen aufs Feld eine Freude zu sein, keine Notwendigkeit.

Mutter, auch sie in den 20er Armutsjahren geboren und in voller Dürrezeit nach Bukarest gekommen, um die große Familie in Siebenbürgen zu unterstützen, versteckte in den Taschen mal ein Stück Brot, eine Sicherheitsnadel sowie Schnur- oder Zwirnknäuel.
Sie konnte mir überhaupt keine Antwort geben. Sie wusste nicht, warum sie überall eine Sicherheitsnadel brauchte, wusste aber, warum sie in den letzten Jahren nicht leben konnte, ohne ein ganzes Brot auf dem Tisch zu sehen.

„Auch jetzt spüre ich den Hunger von 45 und 46“, sagte sie mir, so bedacht wie nur möglich kauend, „um die Körner zu spüren“.

„Den Hunger spürst du nicht mit dem Bauch, du spürst ihn mit allem, mit dem Verstand, den Augen, den Händen, die Beine schmerzen, und besonders versteckt er sich im Kopf, er geht nie weg, setzt sich irgendwo in einer Ecke fest, winkt dir nachts im Schlaf“, so erzählte mir Mutter, als sie, nach Deutschland zwischen Fremde gekommen, wie sie die Deutschen empfand, sich in Bezug Essen alles leisten konnte; aber diese alte Angst hat sie nie verlassen, und ihre Vorräte waren beeindruckend.

Der Keller war im wahrsten Sinne des Wortes zugebaut mit Bouillonkonserven, sie machte Pflaumenmarmelade bis zu ihrem Tode. Die stark nach Zimt riechenden Einweckgläser reichten bis unter die Zimmerdecke, und sie verschenkte sie nachher mit der Bemerkung: „Ich gebe sie als Leichenmahl für die Toten zu Hause.“

Ihre Marmelade verdarb nicht nach zwei Tagen wie die gekaufte, sondern schien für die Ewigkeit hergestellt zu sein; sie war eine Art Essenz aus Pflaumen, Kirschen und Weichseln.

„Mutter, wieso hält deine Marmelade?“
„Ich spare nicht am Zucker, ich rühre und rühre geduldig, bis sich eins mit dem anderen verbindet, der Zucker mit dem Wasser und den Pflaumen, und sie muss mit dem Gedanken an die Pflaume und nicht wie viel das kostet kochen oder „ach wie schwer es ist, mit dem Holzlöffel umzurühren“.

Und es sage noch jemand, dieses Volk hätte nicht seine Originale gehabt!

Die fensterlose Straßenbahn mit engen Türen transportierte auch die, die sich an den nach altem Öl riechenden und von müden Händen umklammerten Aluminiumstangen festhielten, wie auch die mit einem Fuß auf einer vom jahrzehntelangen hin und her Zirkulieren abgenutzten Treppe Stehenden.

Einige Straßenbahnen fuhren schon vor dem Krieg, andere hatten auch die reinen Straßen Wiens, Berlins oder die von München gesehen, bis sie so weit kamen, den Pandurilor-Hügel empor oder über die Izvor-Brücke zu kriechen, sich durch die Uranus- und Berzei-Straßen zu schleppen, und es schien, als wollten sie den Atem anhalten, um über den Matache-Platz zu fahren, ohne einen Pöckelfleisch- Mitsch*- oder Mostverkoster anzufahren, der brüsk von dem schmiedeeisenen Tisch weg auf das Treppchen der Straßenbahn sprang, die aus allen Fugen ächzte.

Sie fuhr auch jene, die hängend wie im Zirkus auch noch einen Fuß nach außen hin und her schwenkten. Damals gab es auch nicht viele vagabundierende Hunde, die dich hätten beißen können. Aber es gab Schinder.

Die Autos der Schinder waren die größten, die ich in meiner Kindheit gesehen habe. Oben thronte wie ein Armeegeneral über einem imaginären Schlachtfeld ein Mensch mit einem durchdringenden Blick und einer Mütze mit Klappohrenschutz, und das zu jeder Jahreszeit.

Die Schinder wussten nicht, ob Sommer oder Winter ist. Sie konnten nur mit dieser an einem Ende mit einer Schlinge versehenen Angel hantieren, die sie mit voller Wut nach allen Lebewesen, lebendig oder tot, warfen.

Ein schwerer Beruf, die Hunde zu fischen und sie mit deiner Hand durch das Loch in den Kleintransporter zu schmeißen, um dann noch stundenlang ihr Gejaule zu hören. Es scheint, dass der Mensch auch in Friedenszeiten zum Führen eines Krieges bereit ist, den er auslöst, er beendet und ebenfalls er gewinnt. Ich glaube, es hat auch keine Schinderschule gegeben - vielleicht für auf Systemkritiker angesetzte Menschenjäger -, um eine Lehre abzuschließen. Die Schinder waren bestimmt Menschen, die vor ihrer Berufsausübung gar nicht wussten, wie schwer es ist, zu jagen.

Die Armut und Einsamkeit öffnet ungeahnte Tore und jeder von uns könnte so weit kommen, kerzengerade auf einem Fahrersitz zu sitzen, mit einer Klappmütze auf dem Kopf, schwindlig vor Sorgen, blindlings eine Angel auswerfend, um irgendwas oder irgendwen zu fangen.

Die Kleintransporter fuhren nur nachts in die Stadt. In den Vorstädten hatten sie aber überhaupt keine Restriktion, hier war sowieso der Mensch der Gejagte, mal von der Polizei, von der Sanepid*, vom Sectorist, oder von den Hunden selber, die sich quälten, durch jedes Loch im Zaun zu bellen. Die Kinder reitzten sie mit Steinen oder Ästen auf, was die armen Hunde dazu verleitete, ihre Zunge zwischen den Brettern der Zäune zu vergessen.

Schinder sein, hieß einen sicheren Arbeitsplatz zu haben, Hunde gab es, Angst war da, Kleintransporter für allerlei zur Genüge. Schon das Wort Dubă* ließ uns erschauern. Manchmal flüsterten die Erwachsenen untereinander:
„Hast du gehört, sie haben ihn mit der Dubă genommen … der Arme!“
Es vielen keine Namen, Zeichen wurden gemacht, nur wir Kinder verstanden nicht. Irgendwann schien das Wort Dubă gleichlautend mit „verschwinden“ zu sein, „zu den Vogelfreien zu gehören“.

So lebten wir demokratisch in einer Stadt, in der die Hunde von den Menschen vor den Schindern geschützt wurden, obwohl es umgekehrt hätte sein müssen, dass die Hunde uns schützten.

Jetzt gibt es die Schinder nicht mehr, die Hunde sind kastriert und dann frei gelassen oder in der Obhut warmherziger Menschen. Ich hatte in der Kindheit keine Probleme mit Hundemeuten, jeder Hund hatte einen Herr, selten verirrte sich einer und, wie ich sagte, es tauchten die Straßenwächter auf: die Schinder.

Aber leicht ist es nicht, wenn das Zahlenverhältnis der Straßenüberquerer aus dem Lot gerät ..., es ist ein Problem, wenn es mehr Hunde als Menschen gibt, und das aus allen Gesichtspunkten.

Die Tramways, sie waren eine Stütze im Leben der 60er und 70er Jahre in der Stadt, die uns alle auf den allmächtigen und vor allem ewigen Sozialismus vorbereitete. Wir glaubten, ohne Tramway nicht leben zu können. Autos hatten nur Wenige, die die etwas Besonderes in der Partei waren, oder die Automechaniker waren, auch bei der Partei. Es gab auch Ausnahmen: Irgendein Verwandter vererbte dir ein Auto. Aber wie solltest du es behalten, wenn du kein Geld für den Führerschein hattest oder einen Stellplatz für den Wagen.

Um einen Führerschein zu machen, musste ein Auto in der Familie sein, dann hast du dich in eine Liste eingetragen und gewartet. Ich habe gehört, dass einige in der ehemaligen DDR 10 Jahre lang auf ihren Trabant gewartet haben.

Ja, Warten war für uns, die aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, ein wichtiges Tätigkeitswort, eine Beschäftigung mit vielen Facetten, eine Form der Lebensgestaltung.

„Warte, du wirst schon sehen, wenn Vater kommt!“, hörten schon die kleinen Kinder.
„Wartet in der Schlange!“
„Komm, warten wir gemeinsam.“
„Am Heiligen Warte.“
„Was wartest du, soll ich's dir in den Mund schieben …“
„Der Tod wartet zu Hause auf dich und du treibst dich herum …“
„Ich warte, was soll ich machen …“

Und wenn du warten konntest, kamen die Busse, die noch irgendwie verkehrten, aber sie gingen oft kaputt, stürtzten um, und die Leute stritten noch lauter und heftiger; wahrscheinlich meinte jeder, er wäre eine Art Busbesitzer.

In der Straßenbahn stellten nicht alle Besitzansprüche, dort zeterten am lautesten die alten Weiber:
„Aber meine Liebe, warum hast du so viele Kinder … und jetzt beanspruchst du auch noch meinen Platz, aber was habe ich dir angetan? Sage deinem Vasile, er soll sich zuerst ein Auto kaufen und dich dann dickbäuchig machen.“
„Mutter, was ist dickbäuchig?“
„Oh weh, so etwas sagt man nicht … man sagt schwanger …“
Dann habe auch ich gesagt … schwanger.
„Bitte, nehmen Sie Platz, sie sind schwanger.“
„Was hast du gesagt, Kleine, da schau her, was für Wörter sie kennt, sie wird sie in der Schule gelernt haben … steck deinen Kopf lieber in die Bücher, als das du über eine alte Frau mit Bauch lachst.“
„Gnädige Frau, ich habe Ihnen den Sitzplatz angeboten, weil ich dachte …“
„Da schau her, ich soll sitzen, weil du es willst, und eine gnädige Frau ist deine Mutter … du weißt gar nicht auf welcher Welt du lebst und nimmst mich mit gnädiger Frau … sag deiner Mutter, dass es verboten ist ‚gnädige Frauʻ zu sagen … oder nennt vielleicht dein Vater sie so … ha, ha, ha.“

Und alle lachten am Anfang, dann begannen sie, die Alte aufzustacheln, die auch gar nicht mehr aufhörte und ihren Giftodem über mich ergoss.
Nach einigen Erfahrungen mit Frauenbäuchen, Männern mit Gehstock, die sich nicht einmal tot hingesetzt hätten, habe ich darauf verzichtet, meinen Stuhl jemand anzubieten. Sie nannten mich unverschämt, ich reagierte nicht und sie zogen intelligent einen Schluss:
„Lass sie, die Arme ist taub, siehst du nicht, dass sie gar nicht reagiert? “ Und dann haben sie begonnen, mir Geld zu geben, mich zu streicheln … und das war viel besser, als das über Haltestellen anhaltende Geschimpfe.“

Ja, sie hielt alle aus. Es wäre niemand durch den Kopf gegangen, von der Holztreppe zu steigen, die kaum noch standhielt, und von Nieten über Nieten gehalten wurde, oder auf eine andere Straßenbahn zu warten, nur weil sich die Türen nicht schlossen. Du konntest dich an nichts festhalten, nicht nur in einen Großteil der umstehenden Körperteile eindringend und oft nicht wissend, welches deine Kleidertasche, deine Hand oder dein Atem ist.

Die Tramways sahen damals ganz anders aus, die Stufen waren aus Holz, die Türen öffneten sich wie Akkordeons, es gab eine erste und eine zweite Klasse und vorne die rechte Seite bereitete mir im Sommer eine große Freude: Das Fenster stand ganz offen.

Die erste Klasse kostete 30 Bani und die zweite 20, ob es in den 60er Jahren Abonnements gab, weiß ich nicht, später gab es Monatskarten in Plastikfolien für die Schüler, über die sich die Kontrolleure sehr aufregten, immer der Meinung, dich für irgendeine Straftat bestrafen zu können.

Die Kassiere, die meisten in ihrem Häuschen verbarrikadiert mit unzähligen Schlössern und Riegeln, schienen für ein Vergehen bestraft zu sein, von dem sie noch nichts erfahren hatten. Sie, die Kassiere, zählten dauernd mit beschäftigtem Hirn das Kleingeld und warteten eigentlich auf ein Gespräch mit jedermann, sie waren eine Art schnurloses Telefon, kommentierten in naiven Sätzen die Tagespolitik oder versuchten den wegen dem Gedränge entstandenen Streit zu schlichten.

Wer sagt, er habe den folgenden Satz noch nie gehört, hatte entweder ein Auto oder wohnte auf dem Land und tauchte erst nach der berühmten Revolution, an die ich mich gar nicht erinnern will, auf:
„Geben Sie es von Hand zu Hand weiter bis hinten zur Kassierin …“*
„Gefällt es dir nicht, wäre ein Auto für dich!“
Oder: „Der Tod sucht dich zu Hause und du bringst auf dem Wochenmarkt die Leute durcheinander!“
Oder: „Sollte es eine gnädige Frau sein und man sieht sie nicht?“
Oder: … … …

Vielleicht weißt du, lieber Leser, der du mit mir dein halbes Leben lang in der Straßenbahnhaltestelle gewartet hast, in jenen Haltestellen, die uns den five e clock tea oder die Siesta ersetzten, noch: Wir standen in der Haltestelle und blickten zum Horizont, redeten mit jedem über alles, wurden gehört und waren frustriert wegen dem einen oder anderen mit Mütze oder Hut und Nailonhalbstrümpfen, und wenn wir keine Geduld mehr hatten, machten wir uns nach etwa einer Stunde auf Schusters Rappen auf den Weg, was damals „Spaziergang“ genannt wurde.

Ja, so spazierten die Frauen von Apaca einige Jahrzente lang … und das in drei Schichten, wie auch jene von Tânăra Gardă, 23. August, Vulcan oder wie diese Fabriken und Werke, die uns alles versprachen und besonders unsere Freizeit in Anspruch nahmen, noch hießen.

Dieser Geruch eines frisch gewaschenen Bukarest – damals wuschen die ganze Nacht Mannschaften von Straßenkehrer, als wären es aus den Bergen herabgestiegene Indianer, die Straßen -, getränkt vom Duft hoher Sträucher und Bäume, Flieder oder Linde oder Akazie, überschwemmt manchmal das Gedächtnis, beschwört aber auch die Schatten jener Zeit herauf.

Es gab zum Beispiel Kontrolleure. Sie waren gemütliche, gut ernährte und besonders impertinente Menschen. Wie auch immer, sie fühlten sich überlegen. Ich weiß, sie wußten nicht, was überlegen bedeutete, aber sie verglichen sich mit uns, die wir uns ineinander drängten, uns an allem Greifbaren auf der Treppe festhielten, einer Stange, einem Fuß, einer Hoffnung, während sie eine Mütze trugen, Sakko mit Manschetten und Ellenbogenpatches, und eine Lochzange hatten.

Sie schienen es im Leben geschafft zu haben: Sie fuhren kostenlos mit der Straßenbahn und man machte ihnen sogar Platz, ihnen wurde gegrüßt und sie waren von fast allen gefürchtet. Auch sie gehörten zu denen, die mit einem einzigen Zeichen die Tramway anhalten und aussteigen konnten, um uns Unbekannten ein Zeichen zu machen, woraufhin in wenigen Minuten eine Dubă oder die Polizei auftauchte.

Es scheint, dass alles was Uniform trägt ein Geheimnis ist und bleiben wird; unabhängig davon, wer sich hinter dem Anzug versteckt, er hat mehr Macht als in einem einfachen Hemd.


[aus dem Rumänischen von Anton Potche]


*Worterklärungen:
- Chirigii-Hügel = heute Chirigii-Platz auf der Calea Rahovei (Rahovei-Chaussee); chirigiu = Fuhrmann, Fahrer eines Pferdegespanns; chirigii = Fuhrmänner
- Stabilisierung = gemeint ist die monetäre Stabilisierung, eine Wehrungsreform der kommunistischen Regierung im Jahre 1947 (20.000 alte Leu konnten für einen (1) Leu eingetauscht werden.)
- Libertății-Platz = Freiheitsplatz
- Herăstrău = Park in Bukarest
- Cișmigiu = Park in Bukarest
- Marsianisch = gemeint ist die Sprache der Marsbewohner
- Mitsch (rum.: mici) = in Rumänien sehr beliebte Grillröllchen aus Hackfleisch (in Deutschland als Cevapcici bekannt)
- sanepid (rum.) = Hygiene- und Gesundheitsbehörde
- dubă (rum.) = überdachter Kleintransporter
- Geben Sie es von Hand zu Hand weiter bis hinten zur Kassierin (rum.: Dați din mână în mână până în fund la taxatoare.) = kann wortwörtlich auch übersetzt werden mit: Geben Sie es (gemeint ist das Geld für die Fahrkarte) von Hand zu Hand bis an den Hintern der Kassierin. (Diese im Rumänischen mögliche Zweideutigkeit ist im Originaltext natürlich so beabsichtigt.)

.  | index










 
poezii poezii poezii poezii poezii poezii
poezii
poezii Home of Literature, Poetry and Culture. Write and enjoy articles, essays, prose, classic poetry and contests. poezii
poezii
poezii  Search  Agonia.Net  

Reproduction of any materials without our permission is strictly prohibited.
Copyright 1999-2003. Agonia.Net

E-mail | Privacy and publication policy

Top Site-uri Cultura - Join the Cultural Topsites!