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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2012-04-18
| [This text should be read in deutsch]
Während der 40 Jahre, seit ich israelischer Staatsbürger wurde, habe ich mir oft Fragen zur Identität gestellt. Diese Art des Dilemmas charakterisiert nicht nur mich, sondern alle Israelis und wahrscheinlich die Bewohner des gesamten Planeten. In der israelischen Presse erscheinen von Zeit zu Zeit Umfragen, die Zugehörigkeitsprioritäten der Bürger klären sollen, ob sie sich vorwiegend als Israelis oder als Juden verstehen. Auf den ersten Blick eine absurde Frage, aber die jüdische Thematik blieb viele Jahre ein Nebenschauplatz, man versuchte eine Loslösung vom Stereotypen des Juden aus der Diaspora. Es sollte eine andere Identität, ein „neuer Mensch“ geschaffen werden, mutiger Israeli, der sich mit den Feindseligkeiten der arabischen Staaten auseinandersetzen kann, mit gehobener Stirn und der Waffe in der Hand; der sich mit Leib und Seele der Entwicklung des neuen Staates hingeben sollte, Schulen baut, die trostlose Wüste fruchtbar macht und eine fortschrittliche, mit den westlichen Staaten konkurrenzfähige Industrie ohne Minderwertigkeitskomplexe aufbauen kann.
Es scheint unglaublich, aber viele Jahre wurde sogar der Holocaust mit Seidenhandschuhen angefasst, die Generation, aus der 6 Millionen umkamen, zieht es vor zu schweigen, sogar die einzige Fernsehanstalt der 70er Jahre sendete, mit Ausnahme des Erinnerungstages (Yom Hashoah), nur selten Dokumentare oder Zeugenaussagen. Obwohl das Memorial Yad Vashem schon 1953 eingeweiht wurde, zogen die nach Israel gekommenen Überlebenden es vor, nicht darüber zu reden, selbst in den Familien nicht. Es ist nicht verwunderlich, dass die Befragten sich in erster Reihe als Israelis outeten und erst dann als Juden. Im kollektiven Gedächtnis ward der Jude zu einem verirrten Migranten, durch viele Gegenden gezogen, verfolgt, schwach, an religiöse Tradition und verachtenswerte Stereotypien gefesselt. Wie viele andere fühlte auch ich mich erst mal als Israeli. Die Erinnerungen an Rumänien, die antisemitischen Ausschreitungen waren in einer vergessenen Ecke gelandet, mit dicken Verbänden umhüllt, unter denen die offenen Wunden vernarbt waren und geheilt schienen. Meine Eltern sprachen selten vom Holocaust, sie hatten andere Sorgen, mussten sich in die neue Gesellschaft integrieren, sich beruflich verwirklichen, ohne die Vergangenheit heraufzubeschwören. Der Krieg von 1973, die militärischen Konflikte, beschäftigten sie mehr. Welchen Sinn hatte es, mich mit ihren tragischen Erlebnissen zu verunsichern? Auch meine Großmutter war nicht geneigt, mir von den Lagern in Transnistrien zu erzählen, und ich, obwohl ich ab und zu Bücher über den Zweiten Weltkrieg las, zog es vor, mich von den beschriebenen Ereignissen nicht überwältigen zu lassen; sie waren Teil einer Geschichte, mit der ich mich nur oberflächlich identifizierte; es war, ist vergangen, die Gegenwart und Zukunft sind wichtiger. Israelischer Jude in Frankfurt Ich weilte zu Besuch in Frankfurt, bei den Verwandten meiner Mutter. Sissi und Leon wohnten in Bukarest auf der Calea Victoriei in einem kleinen Appartement, von vielen berühmten Persönlichkeiten frequentiert, Schauspieler, Opernsänger, Ärzte, Journalisten, Schriftsteller, die intellektuelle Elite der Hauptstadt. Sissi war, in meinen Augen, eine Göttin, nicht schön, aber immer elegant, wie einem Modejournal entstiegen, eine perfekte Kennerin der guten Manieren, sie rezitierte in Deutsch und Französisch, versäumte kein Konzert, keine Premiere... Und Leon, ein gut aussehender Mann, ein einziges Lächeln, zuvorkommen, nicht sehr gebildet, aber mit einem besonderen Charme; und er pfiff gerne Opernarien... Wie sehr ich sie in meiner Kindheit liebte! Wenn die Eltern mich mit zu ihnen nahmen und Leon mich auf seine Knie setzte, war das für mich ein Feiertag. Ich erinnere mich an das grüne Zahnbürstchen, das Sissi mir geschenkt hatte, es viel mir so schwer mich von ihm zu trennen, und obwohl es schon abgenutzt war, verwahrte ich es neben dem neuen. Sissi und Leon sind lange vor uns nach Deutschland ausgewandert und ich weilte so um die Jahre 77 – 78 bei ihnen in Frankfurt, obwohl ich auch andere Verwandte besuchte. Es war ausgangs Dezember und ich fand es nicht sonderbar, dass sie, Juden, Weihnachten feierten. Am ersten Abend waren wir bei einem jüdischen Ingenieur aus Offenbach eingeladen, verheiratet mit einer Rumänin, die ich schon aus Bukarest kannte. Ich habe erfahren, dass Herr Rappaport aus dem gleichen Flecken wie meine Eltern stammte, sie haben ihre Kindheit gemeinsam verbracht. Während dem Festmahl neben der geschmückten Tanne erzählte man mir Lausbubengeschichten aus dem Dorohoi* von damals, dann wurde ich nach Israel gefragt, wie ich die politische Situation sehe, ob ich Militärdienst geleistet habe. In kurzer Zeit überhäufte der Ingenieur mich mit aggressiven antiisraelischen Epithetons: Ein Militärstaat, der ein fremdes Gebiet erobert hat, und das „auserwählte Volk“ unterdrücken unter religiösen Vorwänden die Araber. Jedes meiner Argumente, geschichtlich oder politisch, prallte auf Phrasen voller Hass und auf Juden bezogene Etiketten, seine Stimme steigerte sich immer mehr, die Atmosphäre war angespannt, seine Gattin versuchte die Gemüter zu beschwichtigen, aber sein Blick hatte mich blockiert, es war nicht nur eine heiße Auseinandersetzung, ich spürte, dass er in mir alles hasste, was jüdisch war, vielleicht sogar sich selbst. Ich ging niedergeschlagen weg, aber Sissi und Leon versicherten mir, dass er kein antisemitischer Jude sei, sondern nur ein jähzorniger Mensch und, vielleicht weil es ihm gerade so passte, hat er sich erhitzt und dabei vergessen, dass ich Gast war. Am nächsten Tag gestalteten meine Verwandten ein Essen und sagten mir, dass deutsche Gäste kommen werden und ich mich in Anzug und Krawatte schmeißen muss. Theo, ein alter Herr, dürr, voller Falten, sehr elegant, wurde begleitet von einer verkümmerten Frau, mit von der Zeit gezeichneten Wangen, ungeschminkt, schlicht gekleidet, und von seiner lebenslangen Geliebten, grell geschminkt, rotbackig, rundlich, mit langen Wimpern und spitzer Stimme. Es schien als würden die zwei Frauen sich ergänzen. Die Unterhaltung fand auf Deutsch statt, da es die einzige Sprache war, die von den Gästen beherrscht wurde, manchmal übersetzte Sissi; ich erzählte ihnen vom Gesellschaftsleben Tel Avivs, sie fragten mich nach den großen Kaufhäusern in Frankfurt, die ich zwei Tage zuvor besucht hatte. In Israel träumte ich nicht einmal von einem solchen Überfluss, damals waren die Menschen bescheiden, mit begrenzten Bedürfnissen. Theo sah mich merkwürdig an, mit eindringlich forschendem Blick, so als wollte er auch etwas anderes von mir erfahren. Er war über den Kriegszustand im Mittleren Osten ziemlich gut informiert. Irgendwann wurde dann nur noch deutsch gesprochen, aber ich fing einige Wörter auf, die mich beunruhigten, obwohl ich ihren Zusammenhang nicht verstand. Theo erzählte etwas ausführlich und lachte, zusammen mit den zwei Frauen, meine Verwandten schmunzelten, weniger amüsiert, und ich fühlte, dass mir etwas nicht gefiel. Leon wendete sich mir zu und flüsterte voller Stolz: „Theo hatte während dem Krieg einen hohen Rang, er war Gestapo-Offizier, in Paris!“ Ich stand brüsk vom Tisch auf, nahm meinen Trenchcoat und ging hinaus in die Kälte der Straße. Ich spazierte einige Stunden lang, betrachtete die weißen, sauberen Gebäude, Mercedes-Autos, die geschmückten Schaufenster, aber die Gedanken flogen zu meiner Familie, nach Tel Aviv, Jerusalem, Transnistrien, zu den Kriegsfilmen und Lagern, von denen ich so wenig wusste. Am Tag danach verabschiedete ich mich von meinen Verwandten in Frankfurt, wir haben uns geküsst und uns in bestem Einvernehmen getrennt. Der Abend davor wurde nicht erwähnt, jedes Wort wäre auch überflüssig gewesen. Fäden und Resonanz Ab jenem Tag habe ich begonnen, immer mehr Bücher aus der Bibliothek meines Vaters zu lesen, über die Geschichte des Zweiten Weltkrieges und den Holocaust, ich habe zwei Lager besucht, Mauthausen und Dachau, habe mir Dokumentarfilme angesehen und versucht, mich zu informieren, aber von meiner Familie konnte ich kaum Vertrauliches erfahren. Selten schilderte Großmutter mir in einem regungslosen Tonfall einige schreckliche Momente, die sie in den Lagern in Transnistrien durchgemacht hat. 1984 ist meine Mutter gestorben und 1991 Großmutter, also war der Einzige, der mir noch etwas weitergeben konnte, mein Vater. Seltsamerweise begann er mir nach ihrem Tod zu erzählen, oft ohne dass ich ihn danach fragte. Er kaufte ohne Auswahlkriterien alles was er fand, in Hebräisch, Französisch, Englisch, Bücher zum Thema Holocaust; es war wie ein Testament, durch das er mir alles vermitteln wollte, was ich längst hätte wissen müssen, er mir aber aus seelischer Not vorenthalten hatte. Ich glaube nicht, ihn je nach den Gründen ihres Schweigens gefragt zu haben. 1994, ein Jahr nach dem Film Schindlers Liste, gründete Steven Spielberg Survivors of the Shoah Visual History Foundation, bei der Freiwillige aus der ganzen Welt Videointerviews mit Überlebenden des Holocaust machten. Zufällig fand ich eine Anzeige in der Zeitung, dass in Israel Personen gesucht werden, die sich in einem Projekt engagieren wollen, bei dem es um das Sammeln von 50.000 Zeugenaussagen geht; ein immer diffizileres Unterfangen, weil die Zahl derer, die noch erzählen konnten, von Tag zu Tag schrumpfte. Ich habe einen Lehrgang besucht und bin dann mit einem Kollegen als Kameramann von Stadt zu Stadt gezogen. Wir haben interviewt, drei bis vier Stunden, Menschen die durch die Hölle gegangen sind und der Nachwelt eine gemeinsame Botschaft hinterlassen wollten, in der Hoffnung, dass sich so ein Genozid nie mehr wiederholt. Das schwerste Interview führte ich mit meinem Vater, als würde er ein Teil seiner Seele herausreißen. Während er seine Erinnerungen aufrollte, litt ich mit ihm, vibrierte bei seinen Schmerzen, genauso wie ich bei den Erlebnissen anderer Überlebenden mitfühlte, aber ich spürte gleichzeitig, dass ich mich meiner Familie näherte, ihres so schmerzlich erlebten Judentums. Jedes seiner Worte berührte den Juden, verborgen hinter der israelischen Identität, in mir, der sich vom Bild des Juden aus der Diaspora, unterdrücktes Mitglied einer Minderheit, losgelöst wissen wollte. Fast zwei Jahre habe ich bei diesem Rennen gegen die Zeit mitgemacht, ich wollte je mehr Zeugenaussagen sammeln, eigentlich lief ich mir selbst hinterher, einem Teil von mir, der glaubte, nicht kompatibel zu sein mit seinem Stand als Israeli. In diesen Erinnerungen habe ich Ihnen bloß einige Momente meiner Entwicklung erzählt, zwischen Begriffen, die ich mir gut definiert wünschte, Parameter eines Bezugssystems, die mir die in den Jahren angesammelten Zweifel ausräumen mussten, mir persönlich. Heute weiß ich, dass ich Jude und Israeli bin und fühle beide Prägungen, ohne eine Beziehung zwischen den zwei Identitäten herzustellen. Das oft mit Hass gebellte Wort „Jude“ berührt mich nicht mehr. Ein unsichtbarer Faden verbindet mich mit anderen Juden auf der Welt, die sich vielleicht in ihren Gegenden als Minderheit fühlen. Ein anderer Faden verbindet mich mit Israel, vermittelt mir das Gefühl der Zugehörigkeit. Ich bin mir bewusst, dass die Existenz Israels, auch dann wenn seine Legitimität von feindlichen Ländern angezweifelt wird, den Juden aus der Diaspora ein Gefühl der Würde verleiht. Heute maskiert der Antisemitismus sich oft mit dem Terminus des Antizionismus. In einer von Interessen und Hypokrisie dirigierten Welt, mit farblosen Prinzipien und von Extremismen alimentiertem Hass, riskiert das angestrebte Ideal des Universalbürgers eine Utopie zu werden. Erläuterungen* Dorohoi = Stadt im Nordosten Rumäniens; 1930 lebten dort über 5000 jüdische Bürger [aus dem Rumänischen von Anton Potche] |
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